Nikola Tesla – ein Hörspiel

April 2022 – Teslas kennt heute jedes Kind. Aber Nikola Tesla? Der Namensgeber für die luxuriösen E-Autos war ein genialer Erfinder: intelligent, kreativ, visionär. Aber auch schrullig, zwanghaft und mit zunehmendem Alte skurril und vielleicht tatsächlich verrückt. Er war zeitweise ein Superstar der New Yorker Society, lebte luxuriös in Hotels und aß in den teuersten Restaurants. Doch er starb allein, verarmt und fast vergessen. Ohne ihn gäbe es viele Dinge nicht, die heute für uns selbstverständlich sind: allen voran unser Wechselstromnetz. Aber auch Elektromotoren, Radios, Mikrowellen und Fernbedienungen gehen auf ihn zurück. Ein spannender Mensch, über den diesen Monat ein Hörbuch in der Reihe „Abenteuer & Wissen“ im headroom Verlag erscheint. Es ist gut gemacht, abwechslungsreich und kurzweilig anzuhören.

Warum so viele Männer – und Frauen nur in marginalen Rollen?

Leider lässt der Verlag in der Reihe insgesamt fast ausschließlich die Biographien von Männern beleuchten. Das ist ärgerlich. Auch die Rollen, die im Tesla-Hörspiel Frauen zugedacht werden, sind traditionell und marginal. Das ist merkwürdig unsensibel und vorgestrig, ganz besonders bei einem Verlag, der von einer Frau gegründet wurde, überwiegend von Frauen geleitet wird und bei einer weiblichen Verantwortlichen für das Hörspiel.

Virtuoses Storytelling

Die CD „Nikola Tesla – ein Genie unter Strom“ erzählt das Leben dieses phantastischen Ingenieurs und Erfinders von seiner Kindheit als Pfarrerssohn in Europa bis zu seinem einsamen Tod in einem amerikanischen Hotel. Die Lebensgeschichte ist dabei virtuos verflochten mit Fakten, Geräuschen, Musik, technischen Hintergrundinformationen und eingewobenen Zitaten der Protagonisten. Die „Zitate“ sind historisch kaum belegbar, aber es hätte sie geben können. Diese „O-töne“, die eben nicht original sind, machen die Erzählung sehr lebendig. Sie holen den toten Erfinder fast wieder ins Leben und ganz nah an die ZuhörerInnen heran. Gegen Ende des Hörspiels wird darauf hingewiesen, dass Tesla ein Meister der Selbstinzenierung gewesen sei: Häufig wisse man deshalb selbst bei seinen Briefen nicht, ob die Begebenheiten, die er darin schilderte, tatsächlich so passiert seien. Ein wenig mehr Vorstellungskraft und weniger Fakten bei den Worten, die dem faszinierenden Tesla in den Mund gelegt werden, ist deshalb völlig in Ordnung.

Ein Visionär, der nie zu Geld kam

Teslas war so phantasievoll, dass er mit seinen Ideen seiner Zeit weit voraus war. Manchmal so weit, dass die Ideen sogar heute noch verrückt klingen. Manche sind es wohl einfach auch. Und doch wurden sehr viele seiner Visionen Wirklichkeit. Aber er scheint dabei die praktischen Dinge des Alltags, wie z.B. mit seinen Erfindungen auch genug Geld zu verdienen, um neue Entwicklungen und seinen Lebensstil zu finanzieren, nicht so wichtig genommen zu haben. Häufig, so wird es im Hörspiel erzählt, erlitt er Schiffbruch mit eigenen Firmen, brauchte Sponsoren und verkaufte Patente oder gab Beteiligungen auf, die ihm sein Einkommen für immer gesichert hätten. Und obwohl er im großen „Stromkrieg“ mit Edison gemeinsam mit seinem Geldgeber und Partner Westinghouse siegreich war, ist es doch Edison, dessen Namen berühmt wurde. – Jedenfalls bis Elon Musk seine Autos nach Tesla benannte und diese Ungerechtigkeit gerade rückte.

„Abenteuer&Wissen“: 43 CDs über Männer, sechs über Frauen

Apropos Ungerechtigkeit: Die Autorin dieser Dokumentation über Teslas Leben ist Sandra Pfitzner, eine gelernte Journalistin. Von ihr sind beim headroom Verlag schon vier andere Titel in der „Abenteuer& Wissen“-Reihe erschienen: über Michelangelo, Mark Twain, Sophie Scholl und Maria Sybilla Merian. Sandra Pfitzner hat damit ein Drittel der Lebensgeschichten von Frauen erzählt, die in der gesamten Reihe überhaupt erschienen sind. Das waren insgesamt nämlich bisher sechs, wenn ich richtig gezählt habe. Die vier anderen sind Astrid Lindgren, Frida Kahlo, Alexandra David-Néel und Jane Goodall, die sich mit Diane Fossey eine CD teilen muss. Und *guess what* wieviele Männer-Biographien es gibt? Sage und schreibe 43!

Anfangs ging ich davon aus, dass sich das ändern würde

Als die ersten CDs vor einigen Jahren erschienen sind, und ich sie für meine Kinder gekauft habe, fiel mir das bereits auf. Aber ich ging davon aus, dass der Verlag sich eben zu Anfang auf die auffälligsten Erfinder oder Entdecker konzentrieren wollte – die, an denen man quasi nicht vorbeikommt. Doch im Laufe der Jahre ging das so weiter! Und mittlerweile bin ich ehrlich gesagt völlig entgeistert und auch sauer.

Jetzt habe ich nur noch viele Fragen

Der Verlag wird von einer Frau geleitet, die ihn selbst gegründet hat: Eine Frau, die es nicht für nötig hält, Geschichten über Frauen zu machen? Warum?! Welche Kriterien legt man hier bei der Auswahl der Menschen an, die man einer Dokumentation für würdig erachtet? Wie kann es sein, dass ein solches Ungleichgewicht entsteht? Wie kann man das rechtfertigen? 2022! Was ist eigentlich der Anspruch der Reihe – tot, genial, Mann, weiß?

Keinerlei Vielfalt – nirgends

Denn es gibt nicht nur ein riesiges Ungleichgewicht zwischen dargestellten Männern und Frauen, sondern auch zwischen Weißen und nicht-Weißen, Europäern und nicht-Europäern. Tutanchamun, Nelson Mandela und Dschingis Khan bilden die drei – in dieser geringen Zahl nun wirklich nicht löblichen – Ausnahmen. Es gibt keine CD über den Rechtsanwalt und Anführer der Unabhängigkeitsbewegung Indiens Mahatma Ghandi, den US-Bürgerrechtler Martin Luther King Jr., den Sioux-Häuptling Sitting Bull, den Mathematiker und Astronomen Benjamin Bannaker (hier auf Seite 2), die Trans-Aktivistin Marsha P. Johnson und schon gar nicht über die Bürger- und Frauenrechtlerin Sojourner Truth, die NASA-Mathematikerin Dorothy Vaughan oder die Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde.

Ich hätte da ein paar Anregungen…

Dieser Mangel an Frauen und kultureller Vielefalt lässt sich also sicher nicht damit erklären, dass es zu wenige interessante Menschen gäbe, über die es zu berichten lohnen würde. Und wer weiß, vielleicht sind ja schon einige neue Hörspiele in Planung, die diese völlig verzerrte bisherige Auswahl ein wenig besser aussehen lässt. Aber falls nicht, dann hätte ich noch ein paar Anregungen für headroom. Ich konzentriere mich dabei auf Frauen, weil ich diese am schmerzlichsten vermisse und mich mit ihnen am besten auskenne. Headromm könnte z.B. als erstes Mal einen Blick in das Buch der Bücher über herausragende Erfinderinnen, Aktivistinnen, Politikerinnen, Abenteurerinnen, Nobelpreisträgerinnen usw. werfen: Good night stories for rebel girls. Und falls das nicht reicht, gibt es mittlerweile viele ähnliche. Außerdem habe ich hier noch ein paar meiner persönlicher Favoritinnen, deren Lebensgeschichten ich meinen drei Töchtern und meinem Sohn ebenso gern auf die Ohren geben würde wie die über Tesla. An vielen von ihnen kommt man meiner Meinung nach auch „einfach nicht vorbei“, andere sind fast völlig vergessen. Alle haben Außergewöhnliches geleistet. Reihenfolge völlig unwichtig:.

Meine persönichen Vorschläge

Die russische Mathematikerin Sofja Kowalewskaja, die ägyptische Pharaonin Kleopatra, die Musikerin Maria Anna Mozart, die Physikerin und Mathematikerin Mileva Einstein-Maric, die doppelte Nobelpreisgewinnerin Marie Curie (Chemie und Physik) samt ihrer Tochter Irène Joliot-Curie, die ebenfalls einen Nobelpreis gewann (Chemie), die iranische Mathematikerin Maryam Mirzakhani (bis heute die einzige Frau, die jemals die Fields-Medaille gewonnen hat), die Politikerin Eleanor Roosevelt, die Umweltschützerin Elisabeth Mann-Borgese, die Pädagogin und Ärztin Maria Montessori und die Richterin Ruth Bader Ginsburg.

Frauenrollen im Tesla-Hörspiel völlig marginal

Und wenn wir schon dabei sind: Es ist nicht nur die Auswahl der Protagonisten (und hier steht bewusst nur das generische Maskulinum). Es geht auch um die anderen Rollen, die in so einem Hörspiel vorkommen. (Ich kann das hier jetzt nicht bei allen rund 50 Hörspielen überprüfen und eine Strichliste führen, befürchte aber, dass es den bias dort genauso gibt.) Bei der Geschichte über Tesla ist der befragte Experte jedenfalls ein Mann: Dr. Frank Dittmann vom Deutschen Museum in München. Frauen kamen im Leben Teslas offenbar kaum vor – außer als Sekretärinnen. Das scheint Fakt zu sein. Befremdlich ist, dass das in der CD als „auffällig“ tituliert, dann aber nicht weiter thematisiert wird. An dieser Stelle hätte man durchaus einfügen können, dass es manche Hinweise darauf gibt, dass Nikola Tesla homosexuell war,und welche Probleme sich in der damaligen Zeit daraus ergeben hätten.

Befremdlich ist auch, dass Frauen im ganzen Tesla-Hörspiel nur in vier weiteren Rollen vorkommen: als neutrale Erzählerin, als völlig übertrieben kicherig-kieksige Talkshow-Moderatorin und als zwei tuschelnde Restaurantbesucherinnen in einem fingierten Dialog über Tesla, in dem sie sich u.a. darüber auslassen, dass er gut und einsam aussehe… Puh. Auch wenn ich vermute, dass die Autorin das völlig unbewusst so entschieden hat: Es zeigt, dass einfach deutlich mehr nachgedacht werden muss bei so einer Produktion – aber vor allem bei den Macherinnen des Verlagsprogramms.

Fazit

So interessant ich Nikola Tesla als Mensch und die grundsätzliche Mach-Art der „Abenteuer&Wissen“-Hörspiele finde: Es ärgert mich sehr, wenn so extrem wenig auf Vielfalt geachtet und einfach blindlings tradierte Rollenbilder und bias in allen erdenklichen Richtungen weitergetragen werden. Da muss der headroom-Verlag in dieser Reihe sehr schnell viel besser werden, ansonsten stellt er sich damit selbst ins Aus. Und auch diejenigen, die Hörspielpreise vergeben, sollten diesen Aspekt stärker berücksichtigen…


Titel: Nikola Tesla – ein Genie unter Strom

Autorin: Sandra Pfitzner

Erscheinungsjahr: 2022

Verlag: headroom

ISBN: 978-3-96346-052-4

Preis: 14.90 Euro

Altersempfehlung des Verlages: ab 10 Jahren – ich denke, technisch interessierte Kinder können es auch schon ab 8 Jahren hören, einigen wir uns also auf 9!


Toll finde ich: wie die verschiedenen Elemente miteinander verwoben sind (Erzählung, Musik, szenische O-töne, Hintergrundinfos)

Überrascht hat mich: Wie unglaublich kreativ Tesla war

Hilfreich finde ich: dass nicht so viele technische Details vorkommen

Vermisst habe ich: weibliche Rollen im Hörspiel, die Relevanz haben

Was ich weniger gelungen finde: die Darstellung von Teslas Privatleben und seiner Psyche – da hätte man deutlich tiefer graben können

Worüber ich gestolpert bin: die tradierten Rollenbilder, die mit diesem Hörspiel vermittelt werden


interessante Seiten über Nikola Tesla


Kostenlose Kinderhörspiele, in hervorragender Qualität, die man häufig auch downloaden kann:

Ohrka – Hörbücher, Hörspiele, Reportagen, Podcast… – 150 davon zum download!

Kiraka – bzw. neuerdings „Maus live“ (Hören). Hier wird zurzeit offenbar umstrukturiert. Ich hoffe sehr, dass die tollen Hörspiele aber weiterhin abrufbar bleiben werden!


Weitere Rezensionen von mir (überwiegend Bücher).