„Scanner“ – die vielseitig Begabten

Es handelt von Menschen, die sehr viele verschiedene Interessen, aber oft Probleme mit der Umsetzung haben: Die Autorin nennt sie „Scanner“. Diese „Scanner“ erleben, dass die Mehrheit der Menschen nicht so tickt wie sie. Häufig erleben sie früh, dass es wenig Verständnis für ihr „sprunghaftes“ Wesen gibt. Sie bekommen schon als Kinder zu hören, dass es angeblich nicht gut sei, sich immer wieder eine neue Sportart oder ein anderes Instrument auszusuchen, nicht „bei der Sache zu bleiben“. Spätenstens zum Ende der Schule – je nach Schulsystem auch schon früher – wird erwartet, dass die Interessen klar in eine Richtung weisen. Am besten soll auch die Berufswahl schon klar sein. „Scanner“ finden das langweilig und suchen oft ein Leben lang ihre Berufung.
Entlastung für vielseitig Interessierte: man darf so sein
Barbara Sher entlastet all diese Menschen in ihrem Buch und sagt: Es ist ok, so zu sein. „Scanner“ sind sogar sehr interessante Personen und an vielen Stellen enorm kreativ und gut für die Gesellschaft. Sie beschreibt viele Fallbeispiele von Menschen, die im Lauf ihres Lebens die unterschiedlichsten Berufe hatten und viele verschiedene Projekte verfolgt haben – und damit glücklich und erfolgreich sind. Sie analysiert die Furcht der Scanner vor Verbindlichkeit, und warum manche „Scanner“ ihre Projekte immer wieder abbrechen und nicht vollenden oder die Umsetzung von Ideen gar nicht erst in Angriff nehmen. Außerdem gibt sie Tipps, welche Tätigkeiten oder Berufe für „Scanner“ passen könnten, und wie man dies als Betroffener besser herausfinden kann.
Praktische Tipps und Übungen
Im Kern sagt sie: „Fangen Sie klein an. Fangen sie jetzt an. Fangen Sie alles an. Und scheren Sie sich nicht um das Ende.“ – Ein einfacher Rat, den aber viele „Scanner“ brauchen: Denn sie sehen immer das große Bild, den ganzen Wald eines Projekts – und nicht die einzelnen Bäume. Und sie wollen häufig alles bestmöglich machen und kapitulieren dann vor der Größe der Aufgabe. Deshalb ist dieser einfache Rat Shers gut.
Vorschlag: Projektbuch und Große Liste

Auch andere praktische Tipps finde ich hilfreich: das Projektbuch oder die Große Liste zum Beispiel. Das Projektbuch ist eine Art „Logbuch“: Hier sollen alle Ideen eingetragen werden und das, was einen von der Umsetzung abhält. Die Große Liste ist eine Aufstellung der Dinge, die den „Scanner“ wirklich interessieren: Man ist aufgefordert, über mehrere Tage aufzuschreiben, was er oder sie bereits alles getan hat, gern zum ersten Mal tun möchte, in den nächsten Jahren gern tun will, und was man nur ein oder zwei Mal tun will. Das Ziel ist, echte Interessen herauszuarbeiten, was vielen „Scannern“ schwer fällt. Die vielen Interessen zur Umsetzung zu bringen, ist der nächste Schritt. Die Autorin hat dafür noch weitere Tricks und Aufgaben für ihre Leser auf Lager.
(Mein Projektbuch ist übrigens ein angefangenes, nie beendetes Projekt geworden – aber das Gute ist: Ich fühle mich nicht mehr so schlecht damit. Ich sehe es einfach als etwas, das ich jederzeit wieder aufnehmen kann.)
Kritik: kaum Bezüge zur „klassischen“ Psychologie

Foto: ono kosuki/Pexels
Was mich persönlich etwas stört, ist, dass das Buch ganz losgelöst von üblichen Begrifflichkeiten aus der Psychologie geschrieben ist. Die Benennung als „Scanner“ ist zwar zunächst hilfreich, weil sie recht gut illustriert, wie diese Menschen gestrickt sind. Für Leute, die eher in Systemen denken als in Fallbeispielen, würde der Bezug zur Psychologie jedoch das Verständnis erleichtern und vertiefen. So ist für mich ziemlich offensichtlich, dass viele Scanner wahrscheinlich schlicht Hochbegabte sind. Sie langweilen sich rasch, weil sie Sachverhalte schnell durchdringen und dann neue Herausforderungen brauchen. Dass viele „Scanner“ ihre interessanten Projekte erst gar nicht beginnen, hat häufig mit Perfektionismus zu tun: Wenn es nicht perfekt wird, dann lass ich es lieber gleich. Auch das ist ein oft vorhandenes Problem bei besonders begabten Menschen. Hier die Verknüpfung herzustellen, wäre aus meiner Sicht wertvoll gewesen.
Teil zwei des Buches: Kategorien von „Scannern“
Stattdessen bildet Sher im zweiten Teil des Buches sehr viele Untergruppen von verschiedenen „Scanner-Persönlichkeiten“: So soll es ihrer Meinung nach den „zyklischen Scanner“, den „Tellerjongleur“, den „Universalist“, den „Serienmeister“ usw. geben… Diese verschiedenen Persönlichkeiten erläutert sie an Fallbeispielen. Das wirkt auf mich persönlich verwirrend. Ich kann mir die verschiedenen, den einzelnen Fallgruppen zugeordneten Eigenschaften nicht merken. Eine stärkere Herausarbeitung der Gemeinsamkeiten, Unterschiede und passender Tipps in einem Überblick hätte mir da mehr geholfen. Barbara Sher war jedoch Coach und Autorin. Wahrscheinlich hat sie nicht Psychologie studiert (leider ist das nicht recherchierbar gewesen) und hat deshalb diesen anderen Blickwinkel und nicht das psychologische Fachwissen, um ihre – absolut richtigen – Beobachtungen in den „klassischen“ Kontext einzuordnen.
Ein Buch, das stärkt

Dennoch ist das Buch für mich sehr interessant und entlastend gewesen, weil ich eines dieser Kinder war, denen immer gesagt wurde, dass es „zu sprunghaft“ sei und doch „mal bei der Sache bleiben“ solle. Dabei habe ich genau das Richtige für mich gemacht: ausprobiert, getestet, Erfahrungen gesammelt, verworfen, neu begonnen. Wenn mich jemand darin bestärkt hätte, dass das ok ist, und mir Tipps gegeben hätte, wie ich von den vielen Interessen auch zur Umsetzung komme, dann hätte ich vermutlich ein besseres Selbstbild entwickelt, nicht Jura studiert und gedacht, ich müsse unbedingt einen „sicheren“ Beruf ergreifen. Zum Glück hat Barbara Sher mir nun wieder Mut gemacht.
Von Barbara Sher gibt es noch einige weitere, auf deutsch übersetzte Bücher, die um ähnliche Themen kreisen.