Kopf-Chaos

12.03.2022 – Chaos. In meinem Kopf ist Chaos. Die Frühlingsboten auf dem Bild stehen geordneter… Es gibt so viele verschiedene Themen, die mich beschäftigen. Viele davon sind schon alt, manche neu. Dazu die ganzen Nachrichten aus der Ukraine, aus Russland, aus den USA. Ich müsste mich um den Sommerurlaub kümmern – aber wie wird die Welt dann aussehen? Kann und will man dann überhaupt verreisen? Und überhaupt: Warum sollte ich uns für viel Geld ein Haus in Österreich mieten, wenn wir da im Prinzip dasselbe machen können, was wir hier machen könnten? Nur für den Tapetenwechsel? Und mit der ziemlichen Gewissheit, dass es wahrscheinlich ein oder zwei Kinder von uns blöd finden werden? Weil nicht exotisch genug, weil zu nah dran, weil… sie einfach Teenager sind oder präpubertär?

Ich kann mich im Moment nicht fokussieren

Dieser Text wird sich nicht auf ein einziges Thema fokussieren können, denn genau das kann ich im Moment nicht. Ich springe die ganze Zeit hin und her. Und auch wenn ich eigentlich sehr gut darin bin, Prioritäten zu setzen und mich dann konzentriert an die Abarbeitung meiner to-do-Listen zu machen: Ich MUSS das ja hier nicht. Also lass ich es jetzt einfach.

Mich setzt es unter Stress, dass der Großteil der Familie im nächsten Jahr zurück nach Deutschland ziehen will. Ich habe das Gefühl, wir sind gerade erst hier angekommen – und jetzt soll ich schon wieder ausmisten und alle Zelte abbrechen? Ich bin gerade soweit, dass mein Schwedisch ein bisschen besser wird. Ich habe zwar noch immer kaum Möglichkeiten, zu sprechen, aber ich verstehe immerhin unsere Schwedisch-Lehrerin ziemlich gut. Diese Sprache bringt mir eigentlich gar nichts – außer Gehirnjogging. Oder nur – wenn wir hier doch noch irgendwo ein Sommerhäuschen kaufen -, dass ich im örtlichen „Ica nära“ kurz mit der Verkäuferin sprechen kann.

Seit 15 Jahren überlege ich am schwedischen Häuschen herum

Das schwedische Sommerhäuschen ist ein Thema, das uns eigentlich schon seit 15 Jahren begleitet. Warum kümmern wir uns nicht ernsthaft darum? Weil wir zur Bank gehen müssten, um eine Kreditzusage zu bekommen, mit der wir dann auf ein Haus bieten könnten: So macht man das hier nämlich. Die Häuser werden immer versteigert. Aber ohne das nötige „Klein“geld oder eben eine Kreditzusage, kann man nicht mitsteigern. Ich gehe auch deshalb nicht zur Bank, weil ich nicht gewillt bin, viel von unserem Ersparten auszugeben. Weil – was ist wenn wir es für etwas anderes brauchen? Und will ich ein Sommerhaus in Schweden, in das ich dann nur ein, zwei Mal im Jahr fahren kann? Als Alterssitz taugt es wohl auch nicht, weil das Gesundheitssytem hier so mies ist. Aber im Hinblick auf den Klimawandel wäre es wahrscheinlich besser, hier ein Haus zu kaufen als in Berlin/Brandenburg, wo es voraussichtlich immer länger immer heißere und trockenere Perioden geben wird…

Autarkie oder „A room of one´s own“

Mir geht es bei diesem Haustraum vor allem um Autarkie: Ich will irgendwo einen Ort haben, an dem ich tun und lassen kann, was ich will. (Oder geht es da mehr um Virgina Wolfs „A room of one´s own?) Einen Ort, an den ich ggf. gehen kann, wenn es mir in der Stadt zu heiß oder zu viel oder zu laut ist. Einen Ort, wo es nichts ausmacht, wenn ich den Holzboden mit Farbe anstreiche, weil es meiner ist. Wo ich nicht auf das Einverständnis meines konservativen Vermieters angewiesen bin, wenn ich eine umweltfreundliche Heizung einbauen will. Wo ich einen Garten habe, wo der Hund ums Haus springen kann, die Kinder so laut sie mögen Musik hören und in der Hängematte schaukeln können. Wahrscheinlich will ich da auch in der Lage sein, einfach tun und lassen zu können, was ich will: Meinen Tag einzuteilen wie ich will, zu essen, was ich will (und nicht nur den kleinsten gemeinsamen Nenner in der Familie)…

Gleichzeitig fürchte ich mich aber vor der Festlegung, weil das Geld dann „weg“ ist. Und wir haben ja keine Reichtümer, auch wenn alle immer denken, dass wir sie haben müssten, weil wir ja gute Jobs haben. Aber wir haben eben auch vier Kinder und hohe laufende Kosten. Und ich bin – zugegebenermaßen – nicht gut im Sparen. Ich gebe gern und viel Geld für die Kinder aus: für jede Menge Bücher, für Kurse und Hobbies, damit sie ausprobieren können, was ihnen gefällt. Und zum Teil auch für Vorräte, die viele überflüssig finden, allen voran meine Familie. (Aber vielleicht hat sich das jetzt ein bisschen geändert seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine… Immerhin empfiehlt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe seit Jahren, einen gewissen Notvorrat im Haus zu haben.)

Sicherheit kontra Lust auf Neues und Veränderung

Meine Vorratshaltung entstammt auch meinem Sicherheitsbedürfnis bzw. meinem Wunsch, autark zu sein. Der ist natürlich zu einem gewissen Grad völlig lächerlich: Nicht nur ist kein Mensch eine Insel – sondern natürlich hilft mir mein Vorrat auch nur maximal drei, vier Wochen über die Runden und danach nicht mehr. Gut, ich hatte im Lockdown Nr. 1 in Deutschland kein Problem mit leeren Regalen bei Klopapier, Hefe und Mehl. Das konnte ich locker aussitzen. Aber wenn es hart auf hart käme, wir hier kein fließend Wasser und keinen Strom mehr hätten, dann wäre ich auch schnell mit meinem Latein am Ende.

Mir ist schon klar, dass es bestimmte Grundthemen sind, die mich beschäftigen. Und die sind in meiner Biographie und Persönlichkeit begründet. Ich habe immer einen Konflikt in mir: (vermeintliche) Sicherheit gegen die Lust an Neuem, an Veränderungen, am Tun und Bewegen. Das betrifft alles. Auch z.B. meinen Job. Was werde ich tun, wenn wir zurück nach Deutschland gehen? Am liebsten würde ich schon immer frei arbeiten. Aber ich habe den Schritt in die Selbständigkeit nie gewagt. Warum nicht? Sicherheitsbedürfnis… im Zweifel muss ich ja vier Kinder auch allein versorgen können.

Wo ist mein „impact“ im Job?

Ich habe jetzt zum ersten Mal einen Job, in den ich zurückkehren kann. Einen, den ich ziemlich sicher bis zur Rente machen kann. Öffentlicher Dienst. So schön diese Sicherheit ist, so verrückt macht sie mich auch bis zu einem gewissen Grad: Ich mag die Hierarchien nicht. Ich mag die Machtspielchen nicht. Ich mag das Feilschen und sich-selbst-Anpreisen nicht. Ich bin immer mehr an Inhalten als an Titeln oder sichtbarer Personal- oder Budgetverantwortung interessiert. Und ich frage mich: Wo ist eigentlich der „impact“ den ich durch diesen Job habe? Gibt es einen? Oder ist das alles heiße Luft, was ich da produziere/produziert habe? Man sieht einfach sehr wenige Auswirkungen. Es gibt keine messbaren Erfolge. Und wenn, dann ist das ganze Haus daran beteiligt gewesen. Klar, so ist das in der Politik. Ich weiß. Aber ist das richtig für mich? Ich frage mich das im Moment. Mal wieder.

Ein „social entrepreneur“ zu sein, würde mich reizen. Aber mit was? Und mit wem? Mir fehlt so viel Wissen. Selbst wenn ich Ideen habe, weiß ich oft nicht, wie ich über einen gewissen Punkt hinweg kommen soll: Wo holt man sich die nötige Expertise? Wie machen die Leute das, die ohne viel betriebswirtschaftliche Ahnung Unternehmen gründen und „einfach machen“? Am allermeisten fehlt mir aber meistens die reine Zeit, die es bräuchte, um ein Projekt stringent zu verfolgen. Der Alltag ist einfach so voll. Ich habe letzte Woche einmal Protokoll geführt über meine Tätigkeiten an zwei Tagen… Denn da ich hier ja „nur Hausfrau“ bin und „nicht arbeite“, wundere ich mich regelmäßig darüber, wo meine Zeit bleibt. Und wenn ich mir das so schwarz auf weiß anschaue, dann wundere ich mich nicht mehr. Es gibt einfach zig Sachen zu tun! Ich frage mich auch deshalb, wie ich es schaffen soll, wenn wir zurück sind, auch noch einen Job in meiner Woche unterzukriegen? Das kann nur zu Lasten von etwas anderem gehen.

Einfach das Kochen weglassen – dann sind alle Zeitprobleme gelöst

Mein Mann macht dann immer den wahnsinnig hilfreichen Vorschlag, ich solle Zeit beim Kochen sparen… (Darüer rege ich mich dann so auf, dass es immer bei diesem einen Vorschlag bleibt.) Statt eine Stunde am Tag dafür zu nutzen, bräuchte ich dann nur 15 Minuten, wenn ich statt eines warmen Abendessens nur ein Vesper auf den Tisch stellen würde. Super. Bleibt aber noch die Wäsche, das Einkaufen, die Kommunikation und Logistik und Betreuung rund um die Kinder (Verabredungen, Hobbies, WhatsApp-Elterngruppen, Termine bei ÄrztInnen machen, vor Einladungen nach Wünschen für Geburtstagsgeschenke fragen und sie besorgen, an Hausaufgaben erinnern und Vokabeln abfragen, vor Klassenarbeiten Lernmaterial heraussuchen und mit dem Kind durchgehen, Sommerferienbetreuung/-freizeiten suchen…) – und dabei bin ich schon extrem „großzügig“ was den Hausputz angeht und mache da sehr wenig. Und es ist auch nicht so, dass mein Mann gar nichts macht. Gerade hier macht er recht viel zusätzlich zum Vollzeitjob: er kocht oft, er bringt die Kinder jeden Tag zur Schule. Dennoch bleibt die „mental load“ an mir hängen. Fast komplett. Er hat in seinem Leben noch keine Steuererklärung gemacht. Er weiß ziemlich sicher nicht, welche Größen an Kleidung und Schuhen die Kinder gerade tragen. Er kauft keine Geburtstagsgeschenke und sortiert nicht Winter- und Sommerkleidung ein oder aus. Er stellt auch nicht die Haushaltshilfe ein oder sucht sie überhaupt (hier haben wir übrigens keine, weil uns ein Stundenlohn von 40 Euro dann doch zu teuer ist – wir bekommen als Diplomaten nicht den „rutavdrag“, also 50% Vorab-Steuerabzug, den die Schweden hier bekommen…).

Selbst schuld?

Jammer, jammer… Shitstorm, ich höre Dich schon kommen (gut, dass hier kaum einer liest :-)). Klar, alles meine eigene Schuld, weil ich es so habe entstehen lassen. Wirklich? Nein, nicht nur. Ich habe neulich den Ratschlag gelesen, dass man im ersten Lebensjahr eines Kindes die Elternzeit ganz gerecht halbe-halbe aufteilen sollte, damit so eine „Spezialisierung“ innerhalb der Eltern nicht eintritt. Den Rat finde ich gut. Der ist absolut richtig. Dazu wird es aber nicht kommen, wenn sich nicht ganz viel in der deutschen Gesellschaft an vielen Stellen ändert (und was macht man, wenn man schon in der Falle sitzt?!).

Wenn man die Elternzeit nicht aufteilen MUSS, um das Elterngeld zu bekommen, werden die meisten jungen Eltern den traditionellen Weg weitergehen. Weil es einfach so „drin“ ist und gesellschaftlich erwartet wird. Wenn die Väter im Job schief angesehen werden, wenn sie mehr als die zwei „Vätermonate“ nehmen, werden es die meisten nicht machen. Wenn es ein Problem ist, frei zu nehmen, wenn die Kinder krank sind, dann macht es diejenige, die sowieso weniger gegen Bezahlung arbeitet. Wenn überwiegend Frauen in Teilzeit arbeiten, weil es sich mit Steuerklasse V nicht lohnt, mehr Stunden zu machen, dann wird die Anwesenheitskultur weiter bestehen bleiben: Zeit absitzen statt Effizienz – für alle Leute, die Kinder haben und ihre Zeit einteilen müssen, ist das unfassbar blöd. Wenn Kinder als Last und laut und unerwünscht betrachtet werden, z.B. wenn man eine Wohnung sucht, dann ist auch das extrem frustrierend und zeigt, wie wenig Wertschätzung uns Eltern entgegengebracht wird. (Uns persönlich wurde mal von einem Makler gesagt: „Wissen sie, ihre Bonität ist super, aber ihr Problem sind die vier Kinder…“ – Seitdem sind wir nicht mehr umgezogen und würden uns das in Berlin im Moment auch nicht trauen. Wir bezahlen deshalb zurzeit zwangsweise 20% Zuschlag auf unsere Kaltmiete – nur um da wieder einziehen zu dürfen, wenn wir zurückkommen. Das ist Geld, das wir sonst für unsere Kinder zurücklegen könnten. Aber die wahnsinnig soziale Genossenschaft, bei der wir gemietet haben, nutzt den maximal möglichen Zuschlagsrahmen bei Untervermietungen voll aus. Warum? Weil sie letztlich eben nicht sozial sind, sondern nur an Gewinnmaximierung denken – wie so viele.)

Was wären wir froh, wenn es „nur“ die Pandemie gäbe jetzt…

Ok, jetzt bin ich so richtig abgeschweift und habe keinerlei roten Faden mehr, den ich aufnehmen könnte. Aber vielleicht ist ein bisschen Frust raus und ich kann jetzt mal wieder an andere Dinge denken. Bevor ich die nächsten Nachrichten lese…

Es ist draußen frühlingshaft schön – sonnig, relativ warm, die Schneeglöckchen und Winterlinge blühen. Wäre doch bloß kein Krieg und „nur“ noch Pandemie. Wie schnell sogar sowas ein ganz anderes Gewicht bekommt, oder? Die Pandemie war schlimm, ist immer noch nicht vorbei. Aber wenn wir nur die zu bewältigen hätten – wie froh wären wir im Moment?! Und ich mache mir hier so viele Gedanken um mein kleines, persönliches Leben… immer wieder komme ich an den Punkt, an dem ich denke: Was bringt das alles? Warum ist es mir nicht einfach egal, solange alle einigermaßen gesund sind in meiner Familie und wir genug zu essen und zu trinken haben, ein Dach über dem Kopf… – Weil es wahrscheinlich menschlich ist, zwischen den Polen zu schwanken, manchmal das große Ganze zu sehen und manchmal nur das Kleine. Ich denke, das geht jedem so. Und vielleicht verzettelt man sich gerade jetzt gern in den eigentlich kleinen Scheinproblemen, weil es ablenkt.

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