17.05.2021
Online-Berichte statt Archivmaterial
Museen weltweit haben begonnen, Erinnerungen an die Covid19-Pandemie zu sammeln. Meistens Sachen, von Museums-Experten ausgewählt. Das Museum für Hamburgische Geschichte sammelt ebenso wie das Smithsonian in den USA oder Archive in Frankreich. Das Nordiska Museet in Stockholm macht es anders: Es fragt die Menschen direkt nach ihren Erfahrungen. Gemeinsam mit dem Norwegischen Volksmuseum sind SchwedInnen und NorwegerInnen (theoretisch aber alle Menschen) in aller Herren Länder aufgerufen, ihre persönlichen Erfahrungen und Berichte zur Pandemie und zum Thema „Impfung“ online zu hinterlassen. Auch Fotos und Filme können hochgeladen werden. Die Texte und Dokumente werden laufend veröffentlicht.
Keine vergleichbaren Projekte
Ob es in anderen Ländern ähnliche Projekte gibt? Gefunden habe ich noch keines (falls Ihr welche kennt: kommentiert gerne!). Zwar gibt es z.B. vom National Museum of Singapore eine online-Ausstellung von Fotografien aus der Pandemie-Zeit. Die zeigen sehr interessante Aspekte. Das „Covid Art Museum“ dokumentiert Kunstwerke, die während der Pandemie entstanden sind, online. – Aber unmittelbare Berichte einzelner Menschen über ihre Ängste, Wünsche, Hoffnungen, Zukunftsträume, ihre Wut, ihre Hilflosigkeit, ihr Unverständnis, kurz: menschliche Erinnerungen an die Covid19-Pandemie, diese Berichte scheinen es bisher kaum online in die Museen zu schaffen.

Bei der Sammlung des Nordiska Museet kann jede/r teilnehmen, und die Ergebnisse sind schon jetzt auf einer interaktiven Karte einsehbar. Meist steht ein Name (muss kein Klarname sein) und ein Geburtsdatum dabei. Viele der Berichte stammen von denselben Daten (z.B. vom 19./20. März 2020) – den Grund dafür habe ich noch nicht herausgefunden. Ich vermute, dass es mit der Berichterstattung über das Projekt in den Medien zu tun haben könnte. Der schwedische Sender SVT hat allerdings erst im April etwas dazu veröffentlicht. Möglicherweise ging das Projekt auch an diesen Tagen online. Oder es werden die Berichte vor Veröffentlichung geprüft und dann „stoßweise“ zu bestimmten Zeiten veröffentlicht. Wenn man länger sucht, findet man jedoch Texte aus ganz unterschiedlichen Monaten der Jahre 2020/2021.
Geschichten aus aller Munde zur Covid19-Pandemie
Die Erzählungen stammen von Männern und Frauen, Jungen und Älteren, Berufstätigen und RenterInnen, Jugendlichen und StudentInnen, Stadt- und Landbewohnern, Menschen, die selbst erkrankt waren oder nicht. Manche äußern Vertrauen in die Behörden, andere nutzen den Platz, um die Regierung oder ihre MitbürgerInnen zu kritisieren, manche üben auch Selbstkritik, weil sie selbst zu unvorsichtig gewesen seien. Manche äußern die Hoffnung auf große gesellschaftliche Veränderungen, besonders jüngere Leute weisen auf die Erholung der Natur während der Pandemie hin und hoffen, dass sich die Menschen in Zukunft bewusst dafür entscheiden, weniger zu fliegen und zu konsumieren.
Im DHM: Sachen statt Gefühle
Das Deutsche Historische Museum sammelt ebenfalls Erinnerungen an die Corona-Pandemie – aber ganz anders. Um überhaupt den Eintrag im Blog zu finden, der sich mit dieser Sammlung befasst, muss man konkret danach suchen. Er stammt auch erst aus dem März 2021 – als die Pandemie bereits mehr als ein Jahr andauerte. In einer Blog-Beitragsserie erzählen mehrere SammlungsleiterInnen über verschiedene Bereiche, aus denen sie Artefakte zur Pandemie sammeln. Zum Beispiel politische Cartoons, Plakate von Unternehmen und Straßenschilder, Alltagsgegenstände wie Masken und virenförmiger Weihnachtsschmuck… Was fehlt, sind die Berichte von Menschen. Hier gibt es keine unmittelbaren Emotionen, keine Alltagsgeschichten, kein Foto vom Wiedersehen mit Opa nach der Impfung. Beim Lesen mancher Berichte des Nordiska Museet schießen mir die Tränen in die Augen. Wenn ich die vom DHM gesammelten Fotos leerer Supermarktregale anschaue, dann mit viel Distanz.
Ein weltweites online-Museum für Covid19-Erinnerungen
Vielleicht sollten sich andere Museen – gerade in diesen Zeiten der Distanzierung – auch direkter an die Menschen wenden, deren Erinnerungen an die Covid19-Pandemie zugänglich machen? Geschichten von anderen Menschen zu lesen, lässt uns sie fühlen. Eine weltweite Erinnerungsseite könnte für ein Gefühl der Verbundenheit sorgen – über Grenzen und Lockdowns hinweg.
