Die Personennummer

Gitter sind gar nicht nötig - digitale Mauern können viel dicker sein. Foto: Andrea Piacquadio/pexels.

Oder: wie leicht es ist, digital ausgegrenzt zu werden

11. Februar 2022 – Wer nach Schweden zieht, braucht eine Personennummer – ohne die geht nichts. Man benötigt sie z.B., um zum Arzt zu gehen, die Kinder bei den Pfadfindern anzumelden und um ein Konto zu eröffnen – und häufig auch, wenn man online etwas kaufen möchte. Wer als Diplomat nach Schweden kommt (oder aus anderen Gründen einen gewissen Schutz seiner Identität bekommen soll), erhält keine normale Personennummer, sondern eine „Immunitetsnummer“. Man würde erwarten, dass diese Nummer vor allem Vorteile bietet – das ist nicht so. Ich habe an diesem Beispiel erfahren, wie leicht es ist, durch digitale Instrumente ausgegrenzt zu werden. Ohne dass man rasch etwas dagegen unternehmen könnte.

In Deutschland gibt es große Bedenken gegen die „Bürgernummer“

Grundsätzlich ist es für den schwedischen Staat natürlich sehr praktisch, alle Einwohner über ihre Personennummern identifzieren zu können. In Deutschland war es bis vor kurzem nicht so leicht möglich für Ämter, persönliche Informationen üer BürgerInnen untereinander elektronisch auszutauschen. Erst im März 2021 wurde dort ein Gesetz verabschiedet, das nun eine ähnliche Nummer – die Bürgernummer – einführt, die dann auch verschiedenen Behörden zur Verfügung stehen soll. Datenschutzbeauftragte und die damalige Opposition im Bundestag hatten große Bedenken dagegen…

In Schweden ist die Personennummer allgegenwärtig

Hier in Schweden scheint niemand damit ein Problem zu haben. Und das obwohl die Personennummer mit allem verknüpft ist: mit der Wohnadresse, mit der Bank-ID, die an verschiedensten Stellen als Legitimation vorgelegt werden muss… Die Bank-ID wiederum ist mit der Bezahl-App „Swish“ (wie paypal, nur schneller) verbunden – und zwar über die Mobilnummer. Die perfekte Überwachungsmaschine.

Die Personennummer ist mit allem verknüpft – perfekt zur Überwachung. Foto: Noelle Otto/Pexels.

Datenschutz ist eine merkwürdige Sache in Schweden

Datenschutz ist aus meiner Ausländerperspektive hier sowieso merkwürdig: Einerseits kann jeder auf hitta.se nachsehen, wo Leute wohnen, wann sie Geburtstag haben, z.T. auch ihre Telefonnummer, an welchen Unternehmen sie beteiligt sind und wieviel Gewinn oder Verlust die verbuchten, ggf. ob und wieviele Kinder sie haben, wieviele Quadratmeter sie bewohnen, wie groß ihr Grundstück ist und wieviel ihr Haus oder ihre Wohnung wert sind. Andererseits habe ich bis heute nicht alle Klassenlisten aus der Schule meiner Kinder, weil die Schule die ja nicht rausgeben dürfe – Datenschutz. (Und die Eltern scheinen z.T. kein Interesse daran zu haben, weil sie sich schon ewig kennen – und die Neuen, die sind ja eh bald wieder weg…)

Nachteile der Immunitetsnummer

Aber zurück zur Personen- bzw. Immunitetsnummer: Eigentlich ist es ja praktisch, so eine Nummer zu haben, denkt man. Man kann sich damit überall anmelden, hat nicht mehr die Mühe, immer seine Adresse eintragen zu müssen; das geschieht ganz automatisch, denn die ist ja mit der Personennummer verknüpft. Hat man „nur“ eine Immunitetsnummer ist das schon anders: Da ist die Nummer nämlich nicht mit der tatsächlichen Wohnadresse verknüpft, sondern z.B. mit einer Botschaftsadresse. Diplomaten sind auch nicht im Melderegister/folkbokbföringen eingetragen, das in Schweden übrigens vom Finanzamt/Skatteverket geführt wird. Das wäre an sich ja kein Problem – dient außerdem der Sicherheit.

Keine Hausarztwahl für Inhaber von Immunitetsnummern

Wodurch ich mich jedoch „draußen gehalten“ fühle: Dass ich mich mit unserer Immunitetsnummer nicht im „Vårdcentral“ (Ärztehaus mit hausärztlicher Versorgung) „listen“ lassen kann. Das heißt, ich kann mir keinen Hausarzt aussuchen – was hier sonst jedeR darf. Aber wir nicht. Im ersten Jahr hier führte das dazu, dass ich bei fast jedem Arztbesuch einer anderen Ärztin/einem anderen Arzt gegenüber saß und alles immer wieder von Anfang an erklären musste. Das nervt – vor allem weil es Zeit kostet. Aber auch, weil es heißt, dass jeder sich neu eindenken muss, dass ich jedem neu erklären muss, was schon unternommen wurde, warum mir das nicht geholfen hat, und dass ich jetzt einen anderen Ansatz brauche. Und mit manchen Menschen kann man einfach nicht – das persönliche Vertrauen ist mir gerade bei ÄrztInnen jedoch sehr wichtig. Wir können es so nicht entwickeln.

Keine PCR-Test-Bestellung online für Immunitetsnummern-Inhaber

Ich kann mir wegen der Immunitetsnummer auch nicht einfach einen PCR-Test per App („alltid öppet“) oder über die Seite des Gesundheitswesens (www.1177.se) bestellen: Ich muss jedes Mal im „Vårdcentral“ anrufen, ihn dort abholen und selbst wieder hinbringen. Für meine Kinder kann ich online keine Termine vereinbaren, weil sie mir in der App nicht zugeordnet werden (können?). Alles dank Immunitetsnummer.

Keine einfache Anmeldung online bei Pfadfindern oder der Musikschule

Foto: cottonbro/pexels.

Mit der Immunitetsnummer kann man seine Kinder auch nicht einfach bei Bastelkursen oder der örtlichen Musikschule anmelden. Denn das läuft natürlich – wie so vieles hier – online über eine bestimmte Software (StudyAlong). Wenn die aber merkt, dass man nicht im Melderegister steht, weil sie über die Immunitetsnummer keine Adresse „ziehen“ kann, dann ist die Anmeldung zunächst nicht möglich. Das geht dann nur, indem man sich an die Administratoren wendet und einen extra Zugang bekommt. Umständlich und zeitintensiv. Da kann es schon passieren, dass die begehrten Plätze weg sind, bis man endlich einen Zugang zur Anmeldung hat. Denn hier in Stockholm und Umgebung gibt es für fast alle Kinderaktivitäten viel Konkurrenz. Dass man monatelang oder noch länger auf einen Platz warten muss, ist bei sehr vielen Hobbies so.

Keine online-Prüfung der Kreditwürdigkeit

Mit der Immunitetsnummer kann man auch bei der Bank nicht das online-Tool nutzen, mit dem man abfragen könnte, wieviel Hauskredit man bekäme. Man hat ja so Phantasien zwischendurch von einem kleinen Sommerhaus irgendwo… Dafür braucht man stattdessen einen Vor-Ort-Termin. Kostet also wieder viel mehr Zeit. Und apropos Kosten: Wir durften nur bei einer bestimmten Bank ein Konto eröffnen und zahlen dafür hohe Gebühren. Auch das halte ich für europarechtlich fragwürdig…

Keine online-Registrierung unserer ÖPNV-Monatskarten

Und last but not least: Wir können unsere Fahrtkarten für den ÖPNV nicht einfach online registrieren, um sie bei Verlust ersetzt zu bekommen. Das geht für uns wegen der Immunitetsnummer nur in einem bestimmten Kundencenter in der Innenstadt… auch das hat gedauert, bis wir es rausgefunden hatten. Und dann musste noch einer hinfahren. Insgesamt sind es diese vielen kleineren und größeren Hürden, auf die man im Alltag stößt, die die Immunitetsnummer ziemlich nervig machen.

Jammern auf hohem Niveau – aber mit ernstem Hintergrund

Das alles ist natürlich Jammern auf hohem Niveau. Diplomaten haben auch viele Vorteile: z.B. dass wir die Straßengebühren nicht bezahlen müssen – Knöllchen schon! – und für bestimmte Waren die Mehrwertsteuer ersetzt bekommen. Wichtig ist für mich an dieser Erfahrung mit der Immunitetsnummer aber: Man merkt am eigenen Leib, was die Digitalisierung an Kontrolle und ggf. auch an Missbrauch ermöglicht. Wie leicht man Menschen aus einem System „draußen“ halten kann, wenn alles nur digital abläuft und nur die „Maschine“ verantwortlich gemacht werden kann.

Ausgeschlossen – und keiner will verantwortlich sein

Wer sich nicht legitmieren kann, kommt nicht an seine Nachrichten. Foto: privat.

Besonders deutlich wird das, wenn etwas nicht funktioniert. Eine Weile lang konnte ich mich z.B. nicht in die 1177-Gesundheitsseite einloggen: Meine Bank-ID funktionierte einfach nicht als Legitimation. Ich hatte aber eine Mail bekommen, in der es hieß, dass mir eine Nachricht in 1177 zugeschickt worden sei. Das hätte alles sein können: Vom Termin bis zu Untersuchungsergebnissen. Ich musste sie also lesen. Kam aber nicht dran. Ich habe sicher sechs oder acht Nachrichten mit den Technikern von 1177 und meiner Bank ausgetauscht – keiner fühlte sich verantwortlich. Ich wurde hin und hergeschickt zwischen den beiden Plattformen. Irgendwann funktionierte es wieder, aber geholfen hat mir direkt keiner. Ich weiß bis heute nicht, woran es lag. Was, wenn es eine sehr wichtige, zeitkritische Nachricht gewesen wäre? Ich hätte nicht einmal gewusst, von wem sie abgeschickt wurde – hätte also auch nicht anrufen können.

Wie ergeht es Geflüchteten, Alten, Analphabeten in diesem System?

Die Frage für mich ist: Wie muss es erst Menschen ergehen, die gar keine Personennummer bekommen? Oder monatelang auf sie warten müssen (was vorkommt)? Oder nur eine eingeschränkte „Samordningsnummer“, mit der man zB kein Bankkonto eröffnen kann und demnach auch keine Bank-ID erhält? Wie geht es Menschen, die hierher als Flüchtende kommen, die Sprache nicht sprechen und schon genug andere Hürden zu bewältigen haben? Wie kommen die Alten mit dieser Technik zurecht? Was ist mit Leuten, die nicht gut lesen und schreiben können?

Foto: Takeshi Charly/pexels.

„The Local“, eine englischsprachige online-Zeitung in Schweden (und acht weiteren Ländern), hat z.B. diese Artikel zum digitalen Bollwerk Personennummer veröffentlicht:

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