Die Dynamitfabrik in Vinterviken

Vinterviken

05. Februar 2022 – Ich habe beschlossen, meine Berliner „Kultursonntage“ wiederzubleben. (Nur dass heute ein Samstag ist. Aber egal.) Als ich zum Wintersemester 2000 nach Berlin gezogen bin, kannte ich die Stadt nicht. Also habe ich mir vorgenommen, jeden Sonntag etwas Kulturelles zu unternehmen: eine Stadtführung, einen Museumsbesuch oder einen Ausflug zu einem besonderen Ort. Hier biete ich das meiner Familie nun auch an. Wer mitkommen möchte, darf mit. Die anderen bleiben hier. Heute waren wir in der ersten Dynamitfabrik von Alfred Nobel in Vinterviken im Südwesten von Stockholm.

Weniger familiärer Sprengstoff

Mann, Kind eins und vier waren dabei. Ich ärgere mich zwar nach wie vor darüber, wenn meine mittleren Kinder regelmäßig wählen, zuhause zu bleiben. Aber es kostet mich weniger Nerven, wenn ich gar nicht erst versuche, sie zu überreden, sondern nur ein neutrales Angebot mache. Ich habe jetzt schon so viele Sonntage damit verbracht, das perfekte Ausflugsziel zu suchen: frische Luft, keine Innenräume mit vielen fremden, unmaskierten Menschen, interessant für Teenager und Grundschulkinder, mit etwas Bewegung aber nicht zu viel, mit der Möglichkeit, etwas zu essen usw… Aber ein oder zwei Kinder haben dann trotzdem jedes Mal so rumgemeckert, dass ich irgendwann explodiert bin. Also überlege ich jetzt, worauf ich Lust habe und überlasse es jedem selbst, ob er oder sie mit möchte.

Erzwungener Umzug von Södermalm ins Umland

Hier konnten die Fabrikerzeugnisse direkt über den Mälar-See verschifft werden.

Heute also die alte Nitroglycerin-Fabrik. Sie liegt in einer Bucht („Vinterviken“=Winterbucht), eingeklemmt zwischen Hügeln. Die Lage ist kein Zufall: Alfred Nobel hat die Gegend 1865 gekauft, nachdem in seinem Versuchslabor in Heleneborg (ganz im Westen von Södermalm, mitten in Stockholm) 1864 eine große Explosion geschah: Sie kostete seinen jüngsten Bruder, Emil, und vier weitere Menschen das Leben. Danach verboten die Behörden weitere Experimente in der Nähe von Wohnbauten. Alfred Nobel brauchte also ein Gelände, das abgelegen von menschlichen Siedlungen, dennoch aber gut angebunden war. Das war in Vinterviken der Fall: Über den Mälar-See, an dessen Ufer die Bucht liegt, konnten die Erzeugnisse der Fabrik abtransportiert werden.

Ein explosives Geschäft

Die „Bergkatherdrale“ ehrt die Arbeiter in der Nobel-Fabrik.

Hier konnte er außerdem Sprengversuche unternehmen, ohne dass die Lautstärke oder die Erschütterungen jemanden gestört hätten. Noch heute kann man die Sprengbunker in der Nähe des alten Fabrikgebäudes besuchen. Sie stehen seit 1995 unter Denkmalschutz. Die Erfindung des Dynamits durch Alfred Nobel 1866 machte die Produktion in der neuen Fabrik viel sicherer: Während Nitroglycerin extrem empfindlich z.B. gegenüber Temperaturschwankungen war, war Dynamit sicher zu transportieren und zu handhaben. Dennoch geschahen auch in der neuen Dynamitfabrik in Vinterviken noch tödliche Unfälle, z.B. 1868 und 1874. Den Arbeitern der Nobel-Fabriken ist heute ein „Naturdenkmal“ gewidmet – die „Bergkathedrale“ der Künstlerin Stina Ekman.

Ein widersprüchlicher Charakter

Alfred Nobel wurde – wie viele sicherlich wissen – mit der Erfindung des Dynamits und insgesamt 355 Patenten ein reicher Mann. Weltweit hatte er um die 90 Fabriken, auch in Deutschland. Da er in seinem Privatleben glück- und kinderlos blieb, stiftete er den Löwenanteil seines Vermögens und lobte die fünf Nobel-Preise aus: für Chemie, Physik, Literatur, Medizin – und den Friedensnobelpreis. Das klingt alles sehr nobel… Aber Alfred Nobel hatte einen widersprüchlicher Charakter: Einerseits war er sehr gebildet, sprach fünf Sprachen fließend (Schwedisch, Englisch, Deutsch, Französisch und Russisch), schrieb sein Leben lang Gedichte, auch einen Roman und ein Drama. (Allerdings waren diese wohl von minderer Qualität.) Er betrachtete sich trotz seiner Erfindungen als Pazifist und pflegte eine Freundschaft – oder unglückliche Liebe – mit Bertha von Suttner, die kurzzeitig seine Privatsekretärin war und 1905 den Friedensnobelpreis erhielt.

Unrühmliche Beziehung mit junger Österreicherin Sofie Hess

Wenig rühmlich ist hingegen Nobels Beziehung mit der viel jüngeren Sofie Hess aus Österreich. Der Briefwechsel zwischen den beiden zeigt eine chauvinistische, antisemitische Seite von Nobel. Er war der Nobel-Stiftung wohl so unangenehm, dass sie die Briefe nach seinem Tod sämtlich aufkaufte. Erst im Jahr 2017 wurde die Korrespondenz öffentlich zugänglich gemacht. Die kanadische Historikerin Erika Rummel veröffentlichte sie in dem Buch „A nobel affair“.

Schwedische Sonnentankstelle – oder „svensk Tank-Ställe“? – in Vinterviken.

Die Dynamitfabrik in Vinterviken, die Alfred Nobels Reichtum begründete, ist heute übrigens ein beliebtes Ausflugslokal. Gegenüber kann man in den wärmeren Monaten Kajaks mieten. An den Buchten entlang lässt es sich wunderbar spazieren gehen. Und ganz schwedisch-unaufgeregt, gibt es hier keinen Souvernir-Shop, keine Nobel-Devotionalien. Dafür muss man in die Innenstadt von Stockholm ins Nobelpreis-Museum fahren. Und es ist schon bezeichnend, dass es eben ein Museum für die NobelPREISE ist und eben keins für Alfred Nobel…

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