Neues Schuljahr, mehr Glück?
Die Ferien sind fast vorbei. Übermorgen geht es wieder los mit der Schule. Manche Eltern freuen sich vielleicht darauf. Die Kinder sind dann endlich wieder ein paar Stunden am Tag beschäftigt – zumindest sofern kein neuer Lockdown kommt in Deutschland. Ein Lockdown droht in Schweden nicht. Aber trotzdem macht mir das neue Schuljahr eher etwas Bauchschmerzen.
Die Stundenpläne stehen schon im Netz. Und mein Sohn (10 Jahre, 6. Klasse) hat seine beiden LieblingslehrerInnen anscheinend gar nicht mehr. Die hatten zwar nur zwei Nebenfächer bei ihm, aber sie waren Lichtblicke. Französisch kommt als neue Sprache dazu, zwei Mal findet es in der letzten Stunde statt. An mehreren Tagen hat er unwichtige Nebenfächer mitten am Tag – und die Hammer-Hauptfächer ganz am Ende. Der längste Tag ist der Freitag: 8 bis 15 Uhr. Insgesamt wirklich kein angenehmer Stundenplan. Vor allem für ihn: Er bekommt häufig Kopfschmerzen ab der 4./5. Stunde, weil er sehr lärmempfindlich ist und sich leicht stressen lässt.
Wird das zweite Schuljahr besser für das Kind, das am wenigstens hierher wollte?
Ausgerechnet dieses Kind, das am wenigsten nach Schweden wollte. Das Kind, das noch immer keine richtigen Freunde gefunden hat. Das Kind, das überhaupt nicht robust ist. Ich habe wirklich Bammel, wie das ablaufen wird… Im letzten Jahr hat er sehr häufig gefehlt. Das macht die Sache natürlich nicht einfacher – weder in sozialer Hinsicht noch beim Lernen. Es fehlen dann Materialien, Zusammenhänge, Übung, schöne Erlebnisse und Situationen mit den KlassenkameradInnen. Vor den Sommerferien hat er einmal zu mir gesagt: „Ich glaube, dass es im nächsten Schuljahr besser wird mit den Kopfschmerzen. Ich weiß jetzt besser, wie diese Schule funktioniert.“ Ich hoffe so, dass er recht hat. Und dass er einen Freund findet unter den neu hinzukommenden Kindern. Damit würde so vieles so viel leichter.
Die anderen drei – unsere Mädchen – machen mir (zurzeit!!) keine solchen Sorgen. Die Zweitälteste erklärte mir neulich, sie habe vor, sich jetzt auch mal richtig auf ihre Klassenarbeiten vorzubereiten: Sie sei ja nicht schlecht in der Schule, aber da sei „noch Luft nach oben“. Okay… Irgendein Areal im Gehirn dieser 14jährigen (Ehrgeiz?) scheint jetzt fertig umgebaut zu sein. Das Ordnungs-Areal ist es jedenfalls nicht! Auch sie hofft auf mehr Kontakte im neuen Schuljahr. Immerhin hat sie wohl bei ihrem Pfadfinder-Sommerlager ein sehr nettes, schwedisches Mädchen besser kennengelernt. Ich hoffe, der Kontakt setzt sich fort.
Die Jüngste kommt sowieso gut klar. Sie geht jetzt in die zweite Klasse. Demnächst ist ihr 7. Geburtstag. Sie freut sich sehr darauf, ihre Freundinnen wiederzusehen. Dieses Kind hat nie Kontaktprobleme. Sie ist überall beliebt – bei Kindern und LehrerInnen. In der Schule ist sie still, zurückhaltend und brav, nur leicht unordentlich. Ihr liegt viel daran, alles richtig zu machen – deshalb sagt sie im Schwedisch-Unterricht wohl kein Wort: Dort erklärte man ihr, man dürfe nur Schwedisch sprechen. Zuhause redet sie wie ein Wasserfall.
Schwierige Elternaufgabe: Die Balance zwischen Anfeuern und Beruhigen finden
Die Älteste ist nervös, wenn sie an das neue Schuljahr denkt. Es ist ihr vorletztes. D.h. ab jetzt zählt alles fürs Abi. Das setzt sie unter Stress. Sie will unbedingt einen guten Abschluss machen, obwohl sie ihn für ihr geplantes Kunst-Studium eigentlich nicht braucht. Aber es ist eine Frage der Ehre. Und nicht ganz so leicht zu erreichen: Ihre Französisch-Kenntnisse sind immer noch nicht so gut wie die ihrer KlassenkameradInnen. Sie hatten zwei Jahre mehr Unterricht als sie. Und durch einen Sprung von Klasse 8 in Klasse 9 hat sie auch in Mathe manches verpasst. Zwar hat sie das nun in den Sommerferien systematisch nachgeholt. Aber die neue Mathe-Lehrerin musst noch überzeugt werden, dass sie ihr etwas zutrauen kann. Es ist eine schwierige Balance zwischen Anfeuern und Beruhigen bei diesem Kind: Man muss ihr unbedingt den Druck nehmen, sonst geht gar nichts. Gleichzeitig muss man ihr klar machen, dass man ihr viel zutraut. Nicht einfach.
Immerhin fühlt sie sich in ihrer Klasse sehr wohl. Auch sie ist – wie die Jüngste – eine Künstlerin darin, gemocht zu werden. Wenn doch nur Kind 1 und 4 den beiden mittleren ein wenig von diesem Talent abgeben könnten. Sie sind auch sehr liebenswert, aber eigen…
Und ich? Mich stresst das alles. Ich leide viel zu sehr mit den Kindern mit. Das ist mir durchaus bewusst. Ich versuche, ihre Nöte zwar ernst zu nehmen, aber nicht selbst zu durchleben. Das gelingt mir aber nicht immer. Vor allem dann nicht, wenn es um mangelnde Freunde geht. Ich weiß zu gut aus eigener Erfahrung, wie allein man sich fühlen kann als Kind. Und wie lang einem die Zeit wird, die uns Erwachsenen so wahnsinnig kurz vorkommt. Mir graut quasi jetzt schon vor dem Umzug in zwei Jahren. Für meinen Sohn sind zwei Jahre der Riesenschritt vom Kind zum pubertierenden Jugendlichen.
Klassisches Gymnasium mit Extras
Wenn ich wenigstens bei der Schule insgesamt ein gutes Gefühl hätte. Dann wäre es einfacher. Aber dieses klassische Gymnasium, in dem Gepflogenheiten kultiviert werden, die in Deutschland kaum noch vorkommen (aufstehen, wenn der Lehrer den Raum betritt z.B.), hätte ich im Inland nie für (alle) meine Kinder gewählt. Zu viel Frontalunterricht, zu viel Noten- und Testfixiertheit, zu wenig Raum für Persönlichkeitsentwicklung, zu wenig moderne Pädagogik. Aber auch die Rückkehr nach Deutschland soll für die Kinder nicht zu kompliziert werden. Nicht in jeder Klassenstufe kann man problemlos wieder einsteigen, wenn man vorher in einem anderen Schulsystem war. Und nicht jedes Kind ist bereit, neben einer neuen Schule auch noch eine komplett unbekannte Sprache zu akzeptieren, wenn es eben auch anders geht. Also – auf ein Neues und hoffentlich „okayes“ Schuljahr!