Meine Mutter ist tot

17. März 2023 – (TRIGGERWARNUNG!!! Vor allem am Ende des Textes kommen evtl. Dinge vor, die manche Menschen verstören könnten!)

Die letzten Wochen waren außergewöhnlich. Sie waren traurig, schön, anstrengend, wichtig, erschreckend, tröstlich, aber auch schrecklich. Meine Mutter ist gestorben. Nach vielen Wochen im Krankenhaus und im Hospiz in Deutschland. Ich war bei ihr fast bis zum Schluss.

Dass meine Mutter in absehbarer Zeit sterben würde, wusste ich. Aber was heißt, kann ich immer noch nicht richtig begreifen. Sie hatte im Frühjahr 2021 die Diagnose „Krebs“ bekommen. Erst ein paar Monate vorher war sie in ihre alte Heimat nach Reutlingen in Süddeutschland zurückgezogen. Nach Jahrzehnten in NRW und Berlin. Sie hatte sich so auf die Schwäbische Alb gefreut, auf die Landschaft und das Essen, ihre Mundart.

Blick von der Schwäbischen Alb ins Tal.

„Jetzt habe ich mir vorgenommen, noch 80 zu werden“, sagte sie zu mir in einem Telefonat. Typisch. Sie setzte sich immer Ziele und verfolgte diese dann mit viel Biss.

Als ihre Eltern sie nicht aufs Gymnasium schickten, weil das damals (sie war Jahrgang 1946) bei Mädchen einfach nicht so wichtig war, erkämpfte sie sich auf dem zweiten Bildungsweg eine Hochschulausbildung: höhere Handelsschule, Bankausbildung, Lehrgang als Kunst- und Werklehrerin, parallel zur Berufstätigkeit die Vorbereitung zur Zulassungsprüfung fürs Lehramtsstudium, Stipendium beim Evangelischen Studienwerk Villigst, pädagogische Hochschule. Sie studierte Germanistik, wurde Lehrerin. Eigentlich wäre sie gern Ärztin geworden.

Als sie schon pensioniert war, entwickelte sie ein Leseförderprogramm für Grundschulkinder – „Pisakids“ -, und entwickelte es dann weiter zu einem Programm in neun Sprachen für Kinder mit Migrationshintergrund: AMIRA. Erst kurz bevor sie von ihrer Erkrankung erfahren hatte, überließ sie es dem Este-Verlag in der Hoffnung, dass man sich dort um die Modernisierung der Website und den Weiterbetrieb kümmern wird.

Amira – das Leseförderprogramm, das meine Mutter im „Ruhestand“ entwickelt hat.

Die Diagnose meiner Mutter hieß zunächst Bauchspeicheldrüsenkrebs. Aber der Primärtumor wurde nie gefunden. Sie bekam Chemotherapie. Ich besuchte sie in Reutlingen, als wir im Heimaturlaub in Berlin waren im Sommer 2021. Sie besuchte uns in ihren „Chemo-Ferien“ im gleichen Jahr im Spätsommer in Schweden. Da konnte sie mit ihren Nordic Walking Sticks noch flott laufen und Essen war noch Genuss. Wir waren in Skansen und beim Artipelag, ließen uns schwedische „bulle“ (Zimtwecken) und Fischbrötchen schmecken.

Meine Mutter in Skansen/Stockholm, im September 2021.

Im Winter 2021/2022 fing sie an, sich Gedanken darüber zu machen, wieder in die Nähe von einem ihrer Kinder zu ziehen, meinem Bruder oder mir. Zunächst dachte sie an Berlin, wir schickten Immoscout-Anzeigen hin und her bis weit in den Februar. Aber im Mai geht es in den Mails plötzlich um eine Unistadt in Nordrhein-Westfalen (NRW), wo sie eine Wohnung anmieten möchte. Irgendwann in den Frühlingsmonaten 2022 muss klar geworden sein, dass ihre Zeit begrenzt ist. Dass sie angekommen sein muss, bevor ich wieder dauerhaft in Berlin sein kann, was erst im Sommer 2023 der Fall ist.

Meine Patentante kam aus Neuseeland nach Europa – ein letztes Mal, wie sie sagte – und half meiner Mutter beim Umzug.


Ich bin zeitgleich mit der Gesundheit meiner Kinder beschäftigt: Die älteste braucht therapeutische Unterstützung, weil sie mit sozialen Ängsten zu kämpfen hat. Psychologische Unterstützung im Ausland zu finden, ist eine besondere Herausforderung. Nicht nur weil die deutsche Krankenkasse verlangt, dass der schwedische Psychologe für die zwölf geplanten Sitzungen einen deutschen Antrag stellt. Auch weil sie das verlangt, obwohl zwölf Stunden Akutbehandlung in Deutschland ganz ohne Antrag bewilligt werden.

Parallel haben wir mit der Long-Covid-Erkrankung unserer Zweitältesten zu tun. Seit September 2021 kämpft sie mit Müdigkeit und Dauerkopfschmerzen, Konzentrationsproblemen und brainfog. Von September bis Dezember 2021 war sie kaum in der Schule. Ungefähr zu der Zeit, als meine Mutter nach Wohnungen in NRW sucht, lesen wir von der Behandlungsmöglichkeit „hyperbare Sauerstofftherapie“ (Pressemitteilung zu einer Studie dazu aus Israel).

Wir suchen Druckkammern in Deutschland, vergleichen Behandlungspreise, lesen medizinische Studien und überlegen, ob wir unserer Tochter eine solche Behandlung ermöglichen können. Mit hohem finanziellem Risiko, da die Therapie nicht anerkannt ist, und natürlich ohne sicher zu wissen, ob sie ihr helfen wird. Ausserdem muss die Schule überzeugt werden, damit sie vier Wochen beurlaubt wird. Freunde von uns müssen gefragt werden, ob sie sie in dieser Zeit bei sich wohnen lassen und sie betreuen (sie ist damals erst 15 Jahre alt). Ein Antrag bei der Krankenkasse muss gestellt werden (um ggf. später doch noch eine Unterstützung zu erhalten) usw…

Ich bin deshalb sehr froh, dass meine Patentante um die halbe Welt fliegt, um meiner Mutter zu helfen.


Im Sommer 2022 fahren wir wieder nach Deutschland und sehen auch meine Mutter in ihrer neuen Stadt. Sie hat es gut getroffen. Die Wohnung liegt sehr zentral, sie kann alles zu Fuss erledigen. Neuerdings hat sie einen Rollator.

Meine Mutter liebte Hüte. Auch auf dem Rollator hat Hut Stil, selbst wenn es nur einer gegen die Sonne ist.

Natürlich ist alles erstmal schlechter als in ihrer alten Heimat Süddeutschland – das war klar. So gut wie dort kann es nirgends sein. Aber dafür dass es NRW ist, ist es hier schon ziemlich gut. Die Stadt gefällt ihr, die Uni zieht einen interessanten Mix aus Menschen an. Sie macht Listen, was sie tun möchte, wo sie Kontakte knüpfen könnte. Ich finde sie später in ihrer Wohnung. Und im September soll eine Operation stattfinden, die den Krebs noch besser bekämpfen soll: eine „Pipac“, bei der Chemotherapie direkt in den Bauchraum eingebracht wird, um auch die letzten Krebszellen am Bauchfell noch zu erwischen. Drei Mal sollte diese OP minimal invasiv stattfinden.

Davor kommt meine Mutter noch einmal nach Schweden. Mit Rollator. Am Flughafen wird sie im Rollstuhl vom Flugzeug zur Empfangshalle gebracht. Aber bevor sie von uns entdeckt werden könnte, steigt sie aus und klappt den Rollator auf. Sie geht ohne Hilfe bis zu uns.

Bootstour auf dem Mälaren.

Wir haben schöne Tage in Stockholm. Das Wetter ist noch sommerlich warm. An einem Abend mit 24 Grad bietet uns ein Kollege meines Mannes an, mit uns eine Bootstour auf dem Mälaren zu machen. Wir tuckern bis vor Drottningholm. Es ist ein wunderschöner Abend. Meine Mutter trinkt schwedisches Leichtbier („lättöl“) aus der Dose, trägt Kopftuch wie Jackie O und genießt das Leben in vollen Zügen.

Nach der PIPAC-Operation bekommt meine Mutter Verdauungsprobleme

Zurück in Deutschland, soll die erste PIPAC stattfinden. Aber beim ersten Versuch kommt es nicht zur Behandlung, weil im Bauch meiner Mutter zu viele Verwachsungen stören. Diese müssen erst gelöst werden. Der zweite Versuch wird immer wieder verschoben. Als er endlich stattfindet, gelingt zwar die Behandlung, aber im Anschluss bekommt meine Mutter Probleme mit der Verdauung. Sie kann an zwei oder drei Tagen der Woche kaum etwas essen, weil ihr Bauch dann im Lauf des Tages immer stärker aufgebläht wird, was sehr schmerzhaft wird. Sie liegt dann viel und versucht, mit Wärmekissen die gefühlte Verkrampfung zu lindern. Als die Tage mit diesen Problemen immer häufiger und die Schmerzen immer stärker werden, sucht sie Hilfe: Bei einem Palliativnetzwerk aber auch bei meinem Bruder, der Arzt ist. Die ÄrztInnen sind sich uneins, was die Probleme verursacht: Der Krebs oder ein Verschluss im Darm? Ist das operabel oder nicht?

Täglich telefonieren wir, ich schicke Wollsachen, sie strickt Schals

Ich telefoniere mittlerweile jeden Abend mit meiner Mutter. Ich weiß nicht, wann ich damit angefangen habe. Irgendwann Ende 2021 oder Anfang 2022. Jeden Abend nach dem Abendessen, bevor ich meiner jüngsten Tochter vorlese, spreche ich mit ihr über WhatsApp und Kamera. Im Oktober und Anfang November 2022 geht es ihr sichtlich immer schlechter. Sie trägt schon lange eine Perücke, weil sie durch die Chemotherapie ihre Haare verloren hat. Die Perücke hat sie noch in Reutlingen gekauft – kein Echthaar, weil künstliches leichter zu pflegen und günstiger ist

Ich schicke ihr warme Merino-Unterwäsche und dicke, weiche Wollpullis und -strickjacken aus Irland, damit sie in diesen Energiesparzeiten nicht auch noch friert (ich kenne sie: sie dreht die Heizung nicht allzu weit auf als sparsame Schwäbin). Ich fühle mich hilflos und versuche, es so ein wenig zu kompensieren.

Diese Farben schaffen es nicht in unsere Schals.

Sie wiederum beginnt, für meine ganze Familie Wollschals zu stricken. Sie war als junge Frau Au-Pair in Irland und die Wollpullis haben sie daran erinnert, wie sie dort die Aran-Muster gelernt hat. Die kann sie jetzt nicht mehr auswendig, aber sie möchte wieder etwas handarbeiten. Per Foto suchen wir gemeinsam Wolle aus.

Zuerst strickt sie für meine jüngste Tochter, dann meinen Mann und meinen Sohn, die bald ihre Geburtstage haben. Anfang November macht sie ein Päckchen mit den ersten drei Schals fertig, und bringt es zur Post.


Zu der Zeit ist unsere Zweitälteste in Hamburg bei ihrer Therapie. Ich habe sie Mitte Oktober 2022 per Nachtzug hinbegleitet. Mitte November holt mein Mann sie ab. Es geht ihr viel besser! Der Nebel im Kopf hat sich gelichtet, die Kopfschmerzen sind zwar nicht ganz weg, aber deutlich weniger. Sie kann sich besser konzentrieren und braucht nicht mehr täglich einen Mittagschlaf. Wir sind so froh!

Aber ich mache mir Sorgen um meine Mutter. Deshalb sitze ich Ende November schon wieder im Zug nach Hamburg und fahre von dort aus weiter nach NRW.

Umsteigen in Kopenhagen auf dem Weg nach NRW.

Eine Woche bleibe ich und versuche, meine Mutter davon zu überzeugen, dass sie Unterstützung braucht. Regelmässig. Sie will sich einen Pflegedienst suchen. Aber sie scheint auch zu merken, dass die Zeit knapper wird. Sie möchte mit mir ihren Schmuck durchgehen, den ich erben soll. Wir schauen auch ihre Schränke durch und alte Fotos. Wir machen einen Spaziergang über den Weihnachtsmarkt, essen eine Wurst. Aber sie hat danach enorme Bauchschmerzen. Das Laufen tut ihr nicht gut. Ich koche jeden Tag für sie, sie geniesst das. Trotzdem kann sie oft nicht viel essen und bezahlt mit aufgeblähtem Bauch und Verstopfung. Manchmal sind die Schmerzen jetzt so stark, dass sie Opoide dagegen nehmen muss. Jeder Drogensüchtige wäre hellauf begeistert, wenn er ihren Arzneimittelvorrat sähe. In jedem Raum der Wohnung stehen Kisten und Kästen mit Medikamenten. Auch Cannabis gehört jetzt zum täglichen Programm. Das entkrampft.


Das Paket mit den Wollschals ist immer noch nicht in Schweden angekommen. Wochenlang ist es schon unterwegs. Ist es verloren gegangen? Ich gebe die Hoffnung noch nicht auf. Bisher kam noch alles an – wenn auch nicht immer schnell.


Alle Versuche, die Verdauung meiner Mutter in den Griff und wieder zur normalen Funktion zu bringen, verlaufen erfolglos. Es wird einfach immer schlimmer. Als ich nach einer Woche wieder fahre, fahre ich mit einem Schal für meine älteste Tochter im Gepäck und mit einem sehr unguten Gefühl. Meine Mutter plant, an Weihnachten ihren Bruder in den Niederlanden zu besuchen, gemeinsam mit meinem Bruder. Der hat die tatsächliche Lage der Dinge meiner Meinung noch nicht ganz realisiert. Er ist zwar Arzt, meint aber, es sei nicht der Krebs, der die Probleme verursache, sondern eine Blockade im Darm. Letztlich behält er damit sogar recht, nur dass sich im Januar herausstellt, dass der Darm an vielen verschiedenen Stellen verschlossen ist. Irreparabel. Im November und Dezember glaubt er noch, dass die Probleme therapierbar seien, der Darm ggf. operiert werden kann.

In den letzten Wochen von 2022 verliert meine Mutter rapide Gewicht

Ende des Jahres 2022 isst meine Mutter nur noch kleine Joghurts, etwas Kuchen oder andere Dinge, von denen sie glaubt, dass sie sie verträgt. Sie wird immer dünner. Ich kriege es nicht so genau mit, weil ich sie nur per WhatsApp sehe. Bis Januar 2023 hat meine Mutter 10kg abgenommen. Sie hatte ihr Leben lang das Gefühl, zu schwer zu sein. Es wurde ihr eingeredet von kleinauf. Jetzt ist sie plötzlich ziemlich dünn. Ich beschließe, in einigen Wochen wieder hinzufahren. An einem Wochenende Anfang Januar beginnt mein Bruder, meine Mutter künstlich zu ernähren. Sie bekommt einfach nicht mehr genug Nährstoffe. Das soll durch einen Pflegedienst fortgesetzt werden. Die ganze Küche liegt voller Utensilien dafür, als ich ankomme.

Die Küche meiner Mutter: alles für die künstliche Ernährung.

In der zweiten Januarwoche geht meine Mutter in die Uniklinik. Sie kommt auf die Palliativstation. Ihr Strickzeug hat sie dabei. Der Schal für mich ist fertig, er liegt in ihrer Wohnung. Aber an dem für meine Zweitälteste fehlen noch 20cm.

Nach einer Woche hält sie es dort nicht mehr aus. Sie will nach Hause. Ihr Bruder kommt zu Besuch. Sie liegt fast die ganze Zeit auf ihrem im Herbst neu gekauften Schlafsofa, mit Wärmflasche. Der Bauch bläht sich jeden Tag ab mittags fussballgross auf. Am Ende der Woche bringt ihr Bruder sie zurück auf die Palliativstation. Es geht nicht mehr zuhause, sie fühlt sich nicht mehr sicher dort. Sie muss regelmässig erbrechen, hat kaum noch Kraft, kann ihr Bett nicht mehr selbst beziehen, wenn sie es nicht schnell genug ins Bad schafft.

Auf der Palliativstation kümmern sich die ÄrztInnen und -pflegerInnen rührend um sie: Ein Oberarzt, der merkt, wie sehr sie unter der künstlichen Ernährung leidet, bringt ihr eine Flasche Wein mit („Sie kommen doch aus Süddeutschland, da trinken Sie doch sicher auch gern mal einen Wein!“), ein Pfleger den Öffner von zuhause. Ein Assistenzarzt nimmt sich die Zeit, sich zu ihr zu setzen und ein Glas Wein mit ihr zu trinken und sich zu unterhalten. Eine Ärztin aus einer anderen Abteilung, von der meine Mutter auch behandelt wurde, kommt vorbei, um sich zu verabschieden, weil sie die Klinik verlässt, um für „Ärzte ohne Grenzen“ zu arbeiten. Sie macht meiner Mutter Mut und sagt ihr, sie dürfe alles essen – oder es zumindest versuchen. Sie bringt sogar noch die Möglichkeit einer OP des Darmes ins Spiel. Meiner Mutter tut diese Zuwendung sehr gut.

Im Nachhinein frage ich mich trotzdem: Hat diese Ärztin wirklich daran geglaubt? Oder wollte sie meiner Mutter nur Hoffnung machen? Ist das legitim und hat es ihr geholfen? Oder war eigentlich beiden klar, dass das nur schöne Phantasien waren?


Meiner Mutter wird schon in der zweiten Woche in der Klinik ein Platz in einem Hospiz angeboten. Sie lehnt ab. Sie sieht sich noch nicht dort, findet es zu früh. Sie erwähnt, dass man ihr gesagt habe, dass man mit der intravenösen Nahrung monatelang leben könne.

Eine Woche später, in der letzten Januarwoche, komme ich in NRW an. Ich sehe meinen Bruder wieder, mit dem ich seit ungefähr 15 Jahren keinen Kontakt mehr hatte. Er berichtet, dass es unserer Mutter schlecht gehe. Ich solle nicht erschrecken, wenn ich sie sehe. Ich besuche sie ab jetzt täglich in der Uniklinik. In den ersten Tagen wohne ich im Hotel. Meine Routine täglich: ich lasse morgens einen Covid-Test machen, hole die Post in ihrer Wohnung ab, fahre dann ins Uniklinikum, bleibe dort bis zum frühen Abend, dann radele ich zurück (Bewegung, Kopf freikriegen), esse etwas (möglichst lecker, damit ich es auch wirklich esse), beantworte Mails, erledige administrative Dinge für meine Mutter, leser meiner jüngsten Tochter über WhatsApp vor und schreibe die Ereignisse des Tages auf.

Ein paar Mal versuche ich noch, etwas für meine Mutter zu kochen oder einzukaufen: Hühnerbrühe, Ayran, frische Himbeeren und Johannisbeeren. Aber sie verträgt nichts davon. Von einer halben Tasse Hühnerbrühe bricht sie. In der ersten Woche lasse ich Handwerker in die Wohnung: Sie fügen noch eine Blende in die Einbauküche ein, die eine falsche Farbe gehabt hatte. Vor fast sechs Monaten hätte die Küche fertig sein sollen. Jetzt kann sie sie nicht mehr nutzen.


Zu den schlimmsten Aufgaben, die ich jetzt habe, gehört, dass ich einige Menschen anrufen und darüber informieren muss, wie es um meine Mutter steht. Sie hat eine Liste mit mir gemacht, auf der wir eingetragen haben „jetzt“ und „später“. Später heißt, dass diese Leute erst informiert werden sollen, wenn sie gestorben sein wird. Bei der demenzkranken Frau meines verstorbenen Patenonkels steht „sofort“. Ich erwische sie im Pflegeheim kurz vor dem Nachmittagskaffeekränzchen. Sie scheint zu verstehen, worum es geht.

Die früheren Nachbarn kommen nach dem Anruf sogar zu Besuch in die Klinik. Viele erreiche ich auch per Mail oder WhatsApp. Einige werde ich in den nächsten Wochen permanent auf dem Laufenden halten über den Zustand meiner Mutter. Irgendwann richte ich eine WhatsApp-Gruppe dafür ein, weil ich nicht mehr hinterher komme. Meine Mutter verpflichtet mich, nur zwei updates pro Woche zu schicken. Sie will niemanden nerven mit ihrem Sterben. Nachts sehe ich oft lange Filme und Serien, um mich abzulenken. Ich bin froh, allein hier zu sein. So kann ich meinen Schlafrhythmus komplett selbst bestimmen und heulen wann ich will und muss.

Gleich in der ersten Woche in NRW kommen mehrere Pakete an. Ich habe auf Wunsch meiner Mutter ein paar lockere Hosen bestellt, weil sie etwas ganz Weiches braucht, das nicht drückt. Und wie immer bestelle ich natürlich viel mehr als nötig. Ich möchte sie versorgen, ihr eine Freude machen, dazu beitragen, dass es ihr besser geht. Nützt natürlich alles nichts. Immerhin trägt sie ein paar der Sachen bei Besuchen von Freunden in der Klinik.

Das vermisste Päckchen taucht wieder auf

Das wichtigste Paket bekomme ich gleich in den ersten Tagen: Der Benachrichtigungsschein ist an mich selbst gerichtet, obwohl ich gar nicht an der Adresse meiner Mutter gemeldet bin und auch alle Bestellungen schon erhalten habe. Ich fahre zu dem kleinen Kiosk, um das Päckchen abzuholen und breche in Tränen aus, als ich sehe, was es ist: Das vermisste Paket mit den Schals! Seit Anfang November war es unterwegs (mittlerweile fast drei Monate!), und offenbar hat es es sogar bis nach Schweden geschafft: Ein Aufkleber verrät mir, dass es mindestens in Malmö gewesen ist. Und jetzt ist es wieder hier: an mich adressiert, obwohl meine Mutter die Absenderin war. Und wasfür ein Glück, dass ich gerade da bin, und es abholen kann und ausgehändigt bekomme, weil mein Name draufsteht! Ich glaube, ich habe mich noch nie so über ein Paket gefreut…

Fast drei Monate war dieses Paket mit den letzten Geschenken von meiner Mutter unterwegs…

Auch meine Mutter ist natürlich sehr froh, dass es wieder aufgetaucht ist. Denn mittlerweile ist klar: Das sind ihre Abschiedsgeschenke an uns. Dennoch scheint sie noch immer nicht zu akzeptieren, dass ihr nur noch wenig Zeit bleibt. Die Ärzte und Pfleger sprechen mich darauf an in der Klinik.

Ich habe das Hotel für eine Woche gebucht, meine Rückfahrt mit dem Zug am Wochenende nach meiner Ankunft. Aber schon nach wenigen Tagen bitte ich meinen Mann, unsere Kinder darauf vorzubereiten, dass ich wahrscheinlich länger wegbleiben muss. Besonders für unsere Jüngste ist das schwer. Aber sie haben alle Verständnis. Mein Mann unterstützt mich bedingungslos und macht alles möglich. Sein Chef zeigt Verständnis, Bekannte springen hier und da ein und helfen. Ich bin allen so dankbar dafür.

Wieviel Zeit bleibt ihr – uns – noch?

Die ersten ein, zwei Wochen in Deutschland sind die schwersten. Die Ärzte sagen, sie wissen nicht, wieviel Zeit meiner Mutter noch bleibt: „ein paar Wochen – das können zwei, drei, vier oder acht sein“. Sie hat eine bakterielle Infektion im Bauchraum, deshalb war sie in der Woche, in der ihr Bruder da war, so extrem schwach. Aber das Antibiotikum, das sie auf der Palliativstation bekommt, schlägt nicht hunderprozentig an. Nach einigen Tagen wird es abgesetzt, weil man keine Resistenzen züchten darf. Verständlich. Doch die Gefahr einer Sepsis (Übergreifen der Infektion auf die Blutbahn) ist groß. Meine Mutter hat Angst davor, ich auch. Es könnte alles so schnell vorbei sein. Was schaffen wir noch bis dahin? Worüber müssen und wollen wir noch sprechen? Was muss noch geregelt werden? Die Vorstellung, dass es so schnell gehen könnte, erscheint mir furchtbar. Aus heutiger Sicht denke ich: Vielleicht wäre das besser gewesen?

Meine Mutter bekommt im Krankenhaus noch Besuch von einigen Freunden und Freundinnen. Die Besuche sind wichtig. Auch für mich, um über die Situation sprechen zu können. Denn für meine Familie ist sie sehr abstrakt so weit weg. Die Freunde, die kommen, sehen unmittelbar, wie es meiner Mutter geht.

Fotos meiner Mutter als Kind (ganz links) mit zwei von ihren drei Geschwistern – und als junges Mädchen.

Ich spreche mit meiner Mutter viel über ihr Leben. Sie erzählt mir einige Dinge, die ich so noch nicht wusste, die aber sehr wichtig für mich sind. Ich bitte sie, mir noch mehr zu erzählen und ihre Stimme dabei aufnehmen zu dürfen. Sie ist einverstanden. Sie erzählt von ihrer Kindheit und Jugend. Ich bin so froh, dass wir das gemacht haben, auch wenn ich mir die Aufnahmen jetzt noch nicht wieder angehört habe und sie in der Tonqualität vermutlich nicht sehr gut sind Aber es ist ihre Stimme.

Die Idee hatte ich – wie so vieles – von ihr selbst (und auch ein wenig vom „Familienhörbuch“): In ihrer Wohnung bin ich neben vielen anderen Erinnerungsstücken und Fotos auf eine Aufnahme gestoßen, die sie Ende der 1970er Jahre von meinem Bruder und mir gemacht hat. Ich habe sie angehört und mit meinem Handy aufgenommen, Teile davon an meine Familie geschickt. Denn das kleine Mädchen, das da zu hören ist, spricht breitestes Schwäbisch – meine Kinder haben sich kringelig gelacht, als sie das hörten.

Aber natürlich hängt in der Klinik immer das über uns, was kommen wird. Man wird hier gezwungen, ständig mit dem Ende zu rechnen, obwohl es so unvorstellbar ist. Der Chefarzt erwähnt in diesen Tagen – ziemlich direkt – zum ersten Mal die Möglichkeit einer „palliativen Sedierung“, also eines medikamentös eingeleiteten, künstlichen Schlafs wegen zu grosser Schmerzen oder zu großer seelischer Qualen – schlafen bis zum Tod ist das. Nahrung und Wasser werden dann nicht mehr gegeben.

Die intravenöse Nahrung wird auch jetzt schon immer weiter reduziert. Die Ärzte meinen, dass die Kalorien den Organismus belasten, es meiner Mutter schwerer als nötig machen, Übelkeit verursachen und Erbrechen. Was natürlich richtig ist. Trotzdem kann meine Mutter es kaum akzeptieren. Während sie anfangs in der Klinik noch 1500 Kcal bekommen hat, werden am Ende nur noch 750 pro Nacht angehängt. Sie hat Hunger. Der Bauch bläht immer noch.

Der „Plombier“ und die „Versorgungskompanie“

Aber der Oberarzt hat ein Händchen für das Spülen der Ablaufsonde, die meine Mutter hat: Darüber kann sowohl aus dem Magen als auch aus dem Darm Sekret (und alles, was sonst noch drin ist) ablaufen. Meine Mutter nennt den Oberarzt den „Plombier“, den Gas/Wasser/Scheisse-Installateur. Das war eines ihrer ersten französischen Wörter; gelernt, als wir 1990 nach Belgien gezogen sind. Sie hat dort an einer Deutschen Schule unterrichtet. Im NATO-Hauptquartier. Wir brauchten in den ersten Wochen gleich einen Installateur, weil irgendein Abfluss verstopft war. Der Spitzname wird zum „running gag“ zwischen ihr und dem Arzt. Er hat Humor, sie auch. Seit Belgien hieß meine Mutter bei uns oft die „Versorgungskompanie“.

Die Werkzeuge des „Plombiers“.

An einem Wochenende, an dem der Oberarzt frei hat, wird die Spülung allerdings von den Vertretern nicht erfolgreich durchgeführt und meine Mutter hat schreckliche Schmerzen wegen des aufgeblähten Bauchs am Montag morgen. Deshalb lasse ich mir nach einigen Tagen von dem Oberarzt zeigen, wie die Spülung gemacht wird und übernehme es selbst, wenn kein anderer Zeit hat.

Meine Mutter fühlt sich auf der Palliativstation gut versorgt und sicher. Deshalb kommt es wie ein Schock, als wieder ein Zimmer im Hospiz frei wird und ihr gesagt wird, dass sie am nächsten Tag verlegt wird. Zu dem Zeitpunkt ist sie seit zweieinhalb Wochen in der Klinik.

Der letzte Umzug: ins Hospiz

Am 1. Februar 2023 wird sie ins Hospiz gebracht. Ihr letzter von ca. 30 Umzügen. Ich bin noch nicht da, als sie ankommt, weil ich noch ein paar Blumen besorgen wollte und separat fahre. Sie kommt im Krankentransport. Eine Pflegerin erzählt mir, dass meine Mutter bei der Ankunft geweint hat.

Die ersten Tage verbringt meine Mutter in einem kleinen, dunklen Zimmer ganz am Ende des Flurs. Sie kann kaum schlafen, weil die Apparate im Hospiz alle alt sind und die Ärztin, die nun für sie zuständig ist, alle Medikamente getrennt geben lässt – anders als in der Klinik, wo mehrere vermischt wurden. Das bedeutet, dass ständig irgendjemand herein kommt, etwas anhängt, das nach einer halben Stunde durchgelaufen ist, was das Gerät mit durchdringendem Piepen anzeigt. Auch piept es jedes Mal, wenn irgendjemand im Hospiz die Klingel betätigt. Alle Zimmer sind über ein System miteinander verbunden, damit die PflegerInnen sehen und hören können, falls es irgendwo Alarm gibt.

Meine Mutter braucht noch einen neuen Zugang, über den sie Spritzen bekommt. Es dauert Tage, bis sich eine neue Routine einstellt und alles so läuft, dass sie nachts zur Ruhe kommen kann – wenigstens ein paar Stunden abschalten. Manche Pflegerinnen im Hospiz fühlen sich durch mein Angebot, die Spülungen selbst zu machen bzw. zu zeigen, wie sie mir im Krankenhaus beigebracht wurden, bevormundet und in Frage gestellt. Dabei ist das gar nicht meine Absicht. Ich möchte nur meiner Mutter eine ihrer größten Sorgen nehmen: Sie befürchtet, dass sie wieder solche Schmerzen wie an dem einen Wochenende bekommen könnte, wenn es nicht richtig gemacht wird.

Die Pflanzen in den Töpfchen brauchen ein paar Tage, bis sie blühen.

Ich richte das Zimmer meiner Mutter ein: Ein grosses Bild und einen kleinen Holztisch von zuhause bringe ich ihr mit. Auf dem Tisch drapiere ich frische, frühlingshafte Blumen. Sobald sie welken, besorge ich neue. Im Hospiz darf man – anders als im Krankenhaus – auch Topfpflanzen aufstellen, nicht nur Schnittblumen. Die große Freiheit. Auch sonst soll hier ja angeblich alles nach den Wünschen und Gewohnheiten der „Gäste“ (denn hier ist man nicht mehr „PatientIn“) gehen: gleicher Tagesablauf wie zuhause und so. Tatsächlich sehe ich wenig davon. Individualisierung ist bei so viel Pflegebedarf schwierig. Das Hospiz ist unterfinanziert durch die Tagessätze der Krankenkasse. Selbst bei Privatpatienten. Am Bett meiner Mutter befestige ich Leuchtkugeln, auch zwischen die Blumen lege ich eine Leuchtkette, die abends ein gemütliches Licht macht. Der Hausmeister hilft beim Aufhängen des Bildes – ein Stuttgarter Park ist darauf zu sehen. Ein kleines Stück Heimat.

Ein weiterer harter Schritt: Die eigene Beerdigung planen

Der Pfarrer kommt vorbei und bespricht mit meiner Mutter ihre Beerdigung. Das fällt ihr sehr schwer. Selbst hier im Hospiz kann sie noch nicht annehmen, was ihr widerfährt: diese widerliche Krankheit, die Übelkeit, das ständige Erbrechen, dass sie nichts mehr essen kann und daran sterben soll… mit gerade mal Ende 70. Ihre Mutter und ihre Großmutter wurden fast zwanzig Jahre älter.

Aber der Pfarrer stellt gleich am Anfang eine gute Frage, weil er gehört hat, dass sie auch Märchenerzählerin war: Ob es eine Geschichte gäbe, an die sie gedacht habe, als sie die Krebsdiagnose bekommen habe? – Und ja, die gibt es:

Meine Mutter, die ihr Leben lang ein Faible für Märchen hatte, hat an ein chinesisches Märchen gedacht (Das Feuer auf dem Berg, leider kein Link gefunden). Es handelt von zwei Freunden: einer frei, der andere Leibeigener. Eines Tages bekommt der Leibeigene die Möglichkeit, sich seine Freiheit zu verdienen: Falls er auf einen sehr hohen Berg steige, eine Nacht oben bliebe und lebend wieder herunterkäme, sei er danach frei. Sein Freund verspricht ihm, zeitgleich auf den Berg gegenüber zu steigen und ein Feuer für ihn zu entzünden, das er sehen kann. Der Leibeigene steigt auf den Berg, sieht das Feuer und schafft es, die ganze Nacht über im eiskalten Schnee stehen zu bleiben und nicht zu erfrieren, weil er gegenüber das Feuer lodern sieht, das sein Freund für ihn entfacht hat.

Meine Mutter sagt, sie habe gewusst, dass sie diese Krankheit nicht alleine durchstehen müsse. – Erst als ich das höre, wird mir bewusst, dass meine täglichen Anrufe wahrscheinlich viel wichtiger für sie waren als mir das klar war.

Als der Pfarrer gegangen ist, hat er nicht nur eine Bibelstelle und das chinesische Märchen, an denen er seine Predigt aufhängen können wird. Er hat meine Mutter so erlebt, wie sie ist und nach ihrem Tod in Kondolenzschreiben von vielen Menschen beschrieben wird: klar, willensstark, intelligent, mutig. Er ist sichtlich beeindruckt.


Nach einigen Tagen bekommt meine Mutter ein größeres und helleres Zimmer auf der anderen Seite des Gebäudes. Der Leiter des Hospizes lässt sich dafür feiern – ein befremdlich eitler Mensch, der uns ganz am Ende noch seine hässlichste Fratze zeigen wird.

Frühlingsboten eines Frühlings, den meine Mutter nicht mehr erleben wird.

Das neue Zimmer ist ruhiger, es piept jetzt nicht mehr so oft. Auch die hausinterne Anlage scheint hier weniger Geräusche zu machen. Vielleicht haben wir uns aber nur daran gewöhnt.

Auch hier bekommt meine Mutter noch Besuch. Eine treue Freundin und ihr Mann kommen schon zum dritten Mal in diesen Wochen. Mit ihnen macht meine Mutter ihren letzten Ausflug in den Garten. Es ist schon fast Frühling: Die Schneeglöckchen blühen, die Osterglocken fangen damit an. Aber die Wiese und der Wald, an dessen Rand das Hospiz liegt, sind noch mehr grau als grün.

Meine Mutter wird kontinuierlich schwächer. Ab dem 21. Februar 2023 verträgt sie auch die intravenöse Nahrung nicht mehr. Sie erbricht, sobald sie ein wenig davon intus hat. Trotzdem hat sie permanent noch Hunger. Das ist selten so in diesem Stadium, sagt man uns. Leider könne man dagegen nichts tun. Trinken geht noch in kleinen Mengen. Eiskalte Cola verträgt sie am besten.

Der letzte Nachmittag bei Bewusstsein: ihr 77. Geburtstag

Der Bruder meiner Mutter kommt noch zwei Mal und zum 77. Geburtstag meiner Mutter am 1. März reist meine Familie aus Stockholm an. Alle fünf Enkel (meine vier Kinder und der Sohn meines Bruders), mein Bruder, mein Mann und ich feiern mit ihr diesen Tag, soweit man in dieser Situation feiern kann. Vom Sekt und vom Kuchen probiert meine Mutter winzige Stückchen bzw. Schlückchen. Wir erzählen ihr alle unsere Lieblingserinnerungen, die wir mit ihr verbinden. Wir machen Fotos und Filme. Freunde haben Blumen geschickt.

77. Geburtstag mit sieben Kerzen und Blumen.

Nur mein Bruder und ich und das Hospizpersonal wissen, dass sich meine Mutter am nächsten Tag palliativ sedieren lassen wird. Die Ärztin kam am Vormittag des Geburtstages, um mit ihr darüber zu sprechen, wie das abläuft. Meine Mutter will nicht mehr. Sie möchte keinen knurrenden Magen mehr vor Hunger. Sie möchte keinen Kot mehr erbrechen. Sie möchte nicht mehr merken, wie sie täglich schwächer wird. Als sie ins Hospiz eingeliefert wurde, konnte sie noch mit Hilfe zur Toilette ins Bad gehen. Einige Tage später nur noch auf den WC-Stuhl. Und an ihrem Geburtstag war nur noch die Bettpfanne möglich. Diese fortschreitenden Einschränkungen findet sie furchtbar. „Immer wird noch mehr weggenommen“, sagt sie.

Der Tag der Sedierung

Am Tag der Sedierung erfahren wir, dass die Ärztin, die mit meiner Mutter gesprochen hat, Covid hat. Eine andere wird kommen. Wir haben sie noch nie gesehen. Auch meine Mutter nicht. Die Pflegerin, die meine Mutter als Bezugspflegerin betreut hat und die meine Mutter sehr gern mag, hat überraschend frei bekommen für den Tag. Sie hat sich schon am Vorabend von meiner Mutter verabschiedet. Stattdessen ist die da, die immer ein bisschen merkwürdig war, der meine Mutter nicht wirklich vertraut.

Mein Bruder und ich gehen davon aus, dass meine Mutter nach Beginn der Medikamentengabe innerhalb recht kurzer Zeit einschlafen wird. Wir gehen auch davon aus, dass die Ärztin eine Weile dabei bleiben wird. Denn so ähnlich hörte sich das im Vorgespräch an. Auch wenn die Ärztin meinte, dass sie nicht exakt sagen könne, wie es ablaufe, falls sie es nicht selbst machen würde – das stünde noch nicht fest (da wusste sie noch nichts von Covid, es ging nur um die interne Organisation im Palliativnetzwerk).


Als die unbekannte Ärztin kommt, schaut sie nur kurz herein. Sie macht einen sehr selbstbewussten Eindruck, meine Mutter ist zufrieden, weil sie den Eindruck hat, dass diese Frau weiß, was sie tut. Sie findet ihr direkte Art gut. Mein Bruder tippt darauf, dass sie Anästhesistin ist. Er hat recht wie sich später herausstellt.

Das Einschlafen dauert viel länger als erwartet

Die Behandlung beginnt irgendwann am Vormittag. Wir warten schon seit acht Uhr, weil keiner uns einen konkreten Termin nennen konnte, zu dem die Ärztin im Haus sein würde. Die Ärzte des Palliativnetzwerkes müssen häufig zu Notfällen. Mein Bruder hat seine Praxis für den halben Tag geschlossen. Im Lauf des Tages wird er noch allen seinen Patienten absagen.

Als es losgeht, wird die Dosis des Medikaments schrittweise erhöht, je nachdem wie meine Mutter darauf reagiert. Zunächst tut sich nicht viel. Sie wird nur „lustig“, redet fröhlich mit uns, dass sie heute abend mit uns essen gehen möchte. Sie meint, dass das hier „eine gute Sache“ sei. Langsam wird ihre Sprache verwaschener. Sie döst ein. Ich denke, das war es jetzt und muss weinen. Es irritiert mich, als meine Mutter immer wieder wach wird und mit uns spricht.

Sie behält ihren Humor bis zum Schluss

Die zuständige Pflegerin kommt regelmässig herein und passt die Dosis an, wenn meine Mutter bei Ansprache noch aufwacht. Irgendwann ist die Sprache meiner Mutter kaum noch verständlich, wenn sie versucht, uns etwas zu sagen. Trotzdem macht sie noch Witze: „Kulinarisch war es eher ein Reinfall hier…“ Die Ärztin kommt nochmal herein, bleibt aber nur wenige Minuten am Bettende stehen, dreht sich dann weg und geht raschen Schrittes hinaus. Irgendwann ist es nach Mittag und meine Mutter scheint immer noch nicht tief zu schlafen. Als es einmal piept, macht sie ein Auge auf und dreht den Kopf in Richtung des Geräts.

Gegen 13:45 Uhr kommt die Pflegerin und verkündet, dass sie nun alles auf Anweisung der Ärztin so belassen würde für einige Zeit. Ich verstehe das nicht, mein Bruder ist ebenfalls skeptisch. Wir erwähnen, dass unsere Mutter unserer Meinung nach noch nicht wirklich tief schläft. Wir hätten kein gutes Gefühl, sie so zurück zu lassen. Ich fange an, nach dem Medikament und seiner Wirkweise zu googlen. Offenbar ist es eins, das in den USA auch zum Vollzug der Todesstrafe genutzt worden ist. Eine Überdosierung kann also zum Tod führen. Das soll nicht passieren bei der palliativen Sedierung, die sowieso ein juristischer Graubereich (siehe auch: hier) ist.

Dennoch kommt es mir komisch vor, dass nun nichts mehr an der Dosierung geändert werden soll. Denn wir wollen ja nicht, dass meine Mutter noch merkt, dass sie Hunger und Durst hat: Sobald jemand palliativ sediert ist, bekommt er kein Wasser mehr zugeführt, die Menschen verdursten letztlich also.

Der Worst Case: eine Auseinandersetzung mit dem Hospiz

Mein Bruder bittet darum, mit der Ärztin zu telefonieren. Die ist nicht mehr im Haus. Sie ruft eine Stunde später zurück. Da ist es schon kurz vor 15 Uhr. Ich bekomme mit, dass das Telefonat nicht freundlich beendet wird. Mein Bruder erzählt mir, dass die Ärztin nicht bereit sei, die Dosis zu erhöhen, ihr reiche der Zustand, den meine Mutter erreicht habe. Er sagt, dass er ihr gegenüber deshalb angedeutet habe, sie von ihren Behandlungspflichten meiner Mutter gegenüber zu entbinden und selbst wieder die Verantwortung dafür zu übernehmen. Ich rege an, dass er das mit dem Personal des Hospizes bespricht, denn wir wollen keinen Konflikt. Er geht zum Zimmer der PflegerInnen und erfährt dort, dass die Ärztin offenbar entgegen ihrer Ankündigung doch eine erneute Erhöhung der Dosis und ein zweites Medikament angeordnet hat, das den Schlaf vertiefen soll.

Plötzlich klopft es an der Tür und der Leiter des Hospizes fragt, ob er hereinkommen dürfe. Mein Bruder und ich schauen uns an, reagieren nicht sofort, denn er hat sich bisher als wenig hilfreich erwiesen, und wir wollen in dieser Situation eigentlich allein sein mit unserer Mutter. Er kommt dennoch einfach herein und sagt, er müsse mit uns sprechen. Ich frage, ob wir beide dafür anwesend sein müssten oder ob das einer von uns draußen – nicht in Anwesenheit meiner Mutter – mit ihm besprechen könne.

Der Hospizleiter droht, uns mit unserer sterbenden Mutter hinauszuwerfen

Man sagt, dass der Hörsinn der letzte Sinn ist, den ein Mensch verliert und geht davon aus, dass auch Menschen im palliativen Schlaf noch hören, was um sie herum passiert. Ich möchte nicht, dass meine Mutter Missstimmungen mitbekommt. Und hier scheint es welche zu geben. Er will nicht nur mit einem von uns sprechen. Aber mein Bruder bestimmt einfach, dass er mit rausgeht, und ich bei unserer Mutter bleiben kann. Ich bin ihm sehr dankbar dafür. Die beiden verlassen den Raum. Als mein Bruder zurückkommt, erzählt er, dass der Leiter ihm angedroht habe, uns mitsamt unserer Mutter umgehend hinauszuwerfen, wenn er die Behandlung unserer Mutter wieder selbst übernähme. Es sei dem Mann egal, wo wir dann hingingen. Ich bin ziemlich fassungslos.

Was passiert hier?

Was ist hier los? Warum läuft das so schief? Wir sind in einer absoluten Ausnahmesituation, keiner hat uns vorher erklärt, wie lange die Sedierung dauern würde, die durchführende Ärztin hat mit uns kaum ein Wort gewechselt, sich nur zwei Mal weniger als fünf Minuten in den Raum gestellt. Wir haben so etwas noch nie mitgemacht und verlieren gerade unsere Mutter. Und dann machen die hier so einen Konflikt auf? Warum erklärt uns niemand, am besten die Ärztin, wie sie vorgehen wollen, welcher Bewusstseinszustand erreicht werden soll bei meiner Mutter, welche Anzeichen sie dafür sehen, ob er erreicht wurde?

Meine größte Befürchtung: eine mangelhafte Sedierung

Das Problem ist ja, dass bei einer Sedierung bis zum Tod niemand mehr im Nachhinein feststellen kann, ob der oder die Verstorbene noch etwas mitbekommen hat oder nicht. Ob er bzw. sie sich vielleicht „gefangen“ gefühlt hat, unfähig war, sich auszudrücken, aber dennoch gelitten hat unter irgendetwas: Schmerzen, Hunger, dem Legen eines Katheters, der Stimmung im Raum, dem Gefühl, allein zu sein. Im Gespräch mit der bisher für meine Mutter verantwortlichen Ärztin, die nun Covid hat, hatte ich genau diese Befürchtung geäußert, dass meine Mutter noch etwas mitkriegen und darunter leiden könnte, wenn sie sediert ist. Sie hatte mir versichert, dass sie alles dafür tun würde, sicherzustellen, dass das nicht passiert. Aber diese Ärztin ist jetzt nicht die, die die Sedierung durchführt.

Wenn der Bock zum Gärtner gemacht wird

Und dieser Hospiz-Leiter, der ironischerweise für die Seelsorge im Haus verantwortlich ist, scheint nicht in der Lage oder Willens zu sein, uns in irgendeiner Form zu entlasten und zu deeskalieren. Im Gegenteil: Er steht kurz nach dem Gespräch mit meinem Bruder plötzlich schon wieder im Zimmer am Bettende meiner Mutter. Aus meinem Gedächtnisprotokoll, das ich am gleichen Tag angefertigt habe:

„Leiter: „Ich möchte das eben Gesagte noch ergänzen. Wir haben ja auch viel Erfahrung und sie, wie sie hier sitzen (zeigt auf meine Hand, die Hand meiner Mutter hält), sollten ihrer Mutter vielleicht auch mal mehr Raum geben. Mit ständigen Störungen kann sie ja auch nicht in tiefen Schlaf kommen.“

Ich: „Die letzte Störung war ein piependes Gerät und da hat sie ein Auge geöffnet und den Kopf zur Seite gedreht…“

Er erwidert irgendetwas. Ähnlich wie der letzte Satz.

Ich: „Sie wollen jetzt aber nicht sagen, dass wir verhindern, dass meine Mutter tief genug einschläft?“

Er: „Ich nehme hier viel Druck wahr. Sie wollen Ihren Abfahrtstermin morgen schaffen, die Sedierung sollte möglichst heute um halb acht stattfinden…“

Ich bin völlig entgeistert. Mein Bruder sagt: „Das war nur eine Frage, ob das da stattfinden kann!“ (Mein Bruder hatte das tatsächlich gefragt, weil er davon ausging, dass es nur zwei Stunden dauern würde und er seinen Verpflichtungen in seiner Praxis gegenüber seinen eigenen PatientInnen auch nachkommen muss.)

Ich: „Das war der ausdrückliche Wunsch meiner Mutter, dass ich abfahre, wenn sie schläft. Ich wäre auch länger geblieben! Wie kommen Sie zu so einer Aussage?!“

Ich kann nicht mehr weitersprechen, weine, versuche tief zu atmen und ignoriere ihn. 

Mein Bruder sagt: „Könnten Sie dann jetzt bitte gehen, wir wollen mit unserer Mutter allein sein.“ Der Leiter geht.“

Schlimmer hätte es wohl kaum laufen können am Ende. Zum Glück war durch die Erhöhung der Dosis des sedierenden Medikaments und das weitere Medikament, das gegeben wurde, nachdem mein Bruder mit der Ärztin telefoniert hatte, zu dem Zeitpunkt dann aber doch ein Zustand bei meiner Mutter erreicht, in dem wir davon ausgehen konnten, dass sie wirklich tief schläft. Wir haben uns deshalb kurz nach dieser Szene von meiner Mutter verabschiedet und sind gegangen. Für mich war es das letzte Mal, dass ich meine Mutter gesehen habe.

Am Samstag bin ich zurück in Stockholm, in der Nacht stirbt meine Mutter

Zwei Tage später war ich mit meiner Familie zurück in Stockholm, in der Nacht zum Sonntag ist meine Mutter gestorben. Bei der ersten Kontrollrunde der Pflegerin atmete sie noch, bei der zweiten nicht mehr. Es ist der 16. Geburtstag meiner zweitältesten Tochter. Das Leben nimmt echt keine Rücksicht. Wir feiern den Geburtstag und ich erzähle den Kindern erst am Abend, dass ihre Oma gestorben ist.

Geburtstagskuchen: ausnahmsweise gekauft, weil wir erst am Abend vorher zurückgekommen sind.

Seitdem hat mich der Alltag wieder voll im Griff. Es gibt so viel zu tun. Das Übliche in einer großen Familie, aber zusätzlich steht unser Umzug zurück nach Deutschland im Sommer bevor. Dafür muss schon jetzt viel vorbereitet, beantragt, aussortiert, geplant, in die Wege geleitet werden. Und dann natürlich die Bestattung… und die Trauerkarte soll einen besonderen Entwurf bekommen. Ich muss viel mit meinem Bruder absprechen. Wahrscheinlich kommen nur wenige der weit verstreuten Freundinnen und Freunde zur Beerdigung. Das macht mich traurig.

Aber ich habe das Gefühl, dass es kaum Raum für Trauer und Verarbeitung gibt. Je länger die Zeit zurückliegt, die ich mit meiner Mutter so intensiv verbracht habe, desto stärker scheine ich mich von meinen Gefühlen dazu zu entfernen. Ich weiß nicht, wie das weitergehen wird. Aber gut kann es nicht sein, wenn das alles nicht rauskommt, denke ich.

Das Pflegepersonal im Hospiz war toll

Was mir noch wichtig ist, zu sagen: Abgesehen von dem Leiter des Hospizes, waren die Pflegekräfte dort fast alle sehr nett, zugewandt und wertschätzend. So hat eine Pflegerin, die am Anfang ziemlich pikiert reagiert hatte, als ich ihr die Spülung der Sonde zeigen wollte, mich irgendwann zur Seite genommen nach einigen Wochen meiner täglichen Anwesenheit im Hospiz. Sie fragte mich, ob ich eigentlich wisse, was ich gerade leistete, wie toll das sei, und dass das nur ganz wenige täten.

Ich schreibe das nicht, um mich selbst zu loben, sondern um klar zu machen, dass das sonstige Personal im Hospiz kein Problem mit mir oder uns hatte. Im Gegenteil: Wir hatten gegenseitig grossen Respekt und Vertrauen zueinander. Während es am Anfang noch skeptisch beäugt wurde, dass ich überhaupt etwas zu den Spülungen sagen wollte, waren die Pflegerinnen am Ende dankbar, wenn ich das einfach übernahm und ihnen damit einiges an Zeit ersparte. Es wurde ganz normal.

Gemeinsame Lektüre, Handarbeit, Trauer vor dem Tod

Nur einer fehlt – der wurde gerade getragen.

Ich selbst habe es als selbstverständlich empfunden, da zu sein. Obwohl meine Mutter und ich auch viele schwierigere Zeiten miteinander erlebt haben. Es war gut für mich selbst – nicht nur für meine Mutter, dort zu sein. Wir hatten viel Zeit miteinander, die wir sinnvoll verbracht haben. Ich habe meiner Mutter noch zwei Bücher vorgelesen. Sie hat mir gezeigt, wie ich den Schal für meine zweitälteste Tochter fertigstricken konnte – und ich habe es geschafft (wenn auch nicht fehlerfrei). Als meine Kinder kamen, waren alle Schals bereit zum Anziehen.

Ich konnte schon einiges verarbeiten, während ich noch in NRW war, weil ich mit den Freundinnen und Freunden meiner Mutter sprechen konnte und auch viel mehr Zeit für mich selbst hatte als jemals zuhause. Und so viel ist zwischen den Zeilen gesprochen worden. Zwischen meiner Mutter und mir war am Ende alles gut.

Meine Mutter hat sich geborgen gefühlt und beschützt durch die Anwesenheit ihre zwei Kinder, nie ausgeliefert. Ihre Entscheidung, sich sedieren zu lassen, hat sie bei völlig klarem Verstand getroffen und damit ihr Leben genau so beendet, wie sie es auch gelebt hat: selbstbestimmt und in Würde.


Buchtipp: Mein Mann hat mir während der Zeit in Deutschland ein Buch geschenkt. Es handelt vom Tod, von der Liebe und vom Dazwischen: Pulitzerpreis-Gewinnerin Kathryn Schulz, „Lost & Found“. Hier eine Rezension (auf Englisch, das Buch ist ebenfalls bisher nur auf Englisch erschienen). Ich kann es nur wärmstens empfehlen. Schulz erzählt darin vom Tod ihres Vaters, davon, wie sie ihre Frau kennengelernt hat und verwebt diese beiden Geschichten aufs Kunstvollste. Tröstlich, hoffnungsvoll und damit das Beste, was man in so einer Zeit lesen kann.


Magische Nordlichter

Sonntag, 8. Januar 2023 – Die Weihnachtsferien sind fast vorbei. Fünf Tage davon haben wir auf einer Reise nach Norrland verbracht: Ganz im Norden von Schweden, im Land der Samen, haben wir die Nordlichter gesucht und gefunden. Wir hatten großes Glück. Gleich zwei Mal an einem Abend haben wir sie erwischt.

Klimafreundliche Anreise im „Polarexpress“

Stapelliegen im Zug.

Wir sind mit dem Nachtzug die 1300km von Stockholm zur Abisko Turiststation gefahren. Er war komplett ausgebucht. Wir hatten zu sechst zwei 3er-Kabinen, jeweils ein Erwachsener mit zwei Kindern. Preis für uns alle zusammen: 680 Euro ein Weg. Vielleicht bin ich mittlerweile zu alt für sowas – aber ich fand es wirklich nicht sonderlich bequem…

Die Dreier-Stockbetten an sich waren ok. Ich hatte keine Rückenschmerzen davon – was ja für so mittelalte Leute wie mich schon gut ist! Aber es gibt nicht wirklich genug Platz für das Gepäck und für den „normalen“ Aufenthalt darin. Wenn man nicht gerade im Bett liegt und schläft, fragt man sich dauernd, wo man seine Beine unterbringen soll…

Das Gepäck-Puzzle.

Nur zwei Metallständer oben unter der Decke sind für Koffer oÄm vorgesehen, ansonsten bleibt etwas Platz unter dem untersten Bett (dafür sollte das Gepäckstück aber schön flach sein, große Wanderrucksäcke sind schon ein Problem) und hinter der Leiter, die zum obersten Bett führt. Da man seine Schuhe natürlich auch ausziehen muss (besonders im Winter, wenn man vom matschigen Draußen reinkommt), ist schnell der gesamte Boden belegt mit Schuhen und Gepäckstücken.

Abenteuerliche Darstellungen der Wirklichkeit

Wunsch und…
…Wirklichkeit der Speisen im Zug.

Mein Mann gab sich redlich Mühe, alles als „Abenteuer“ und „zum ersten Mal im Zug schlafen“ und was Besonderes für die Kinder zu verkaufen. Was es sicherlich auch irgendwie war. Aber wenn dann das Essen in der Broschüre so stark von der Wirklichkeit abweicht, dass man es fast nicht wiedererkennt? Dann wirken alle Verklärungsversuche nicht mehr sehr gut. Immerhin war der Zug auf der Hinfahrt pünktlich, hat alle Bahnhöfe angefahren und uns sicher an unseren Urlaubsort gebracht.

Abisko Turiststation

Eingang zur Turiststation in Abisko.

Die „Abisko Turiststation“ liegt etwa zwei Kilometer außerhalb des Dorfes Abisko. Sie besteht aus einer kleinen Jugendherberge/Hotel/Apartment-Anlage für ca. 300 Gäste. Hier gibt es einen kleinen Laden mit Wanderausrüstung und Lebensmitteln (frische sollte man allerdings im Dorf kaufen, zu Fuss ca. 20-30 Minuten je nach Wetterlage), ein Restaurant, in dem an morgens/mittags/abends zu vernünftigen Preisen essen kann (außer an Silvester – da kostet es unerklärlich viel). Es gibt z.B. mittags immer ein Buffet für ca. 15 Euro pro Nase, worin Suppe, Hauptgerichte, Salate sowie O-Saft, Wasser und Kaffee enthalten sind so viel man möchte. Es gibt immer auch vegetarische Varianten (bei vegan bin ich nicht ganz sicher) und auch Menschen mit Glutenunverträglichkeit finden immer genügend Auswahl. Abends muss man reservieren, ansonsten ist es „drop in“.

In so einer Haushälfte waren wir auch. Hier am Tag unserer Abreise – bei völlig klarer Sicht.

Wir hatten ein Apartment in einem der kleinen grauen Doppelholzhäuser gemietet. Das war zweckmäßig und praktisch ausgestattet. Wir hatten zwei Schlafzimmer in der oberen Etage: eins mit zwei Einzelbetten, eins mit zwei Stockbetten. Im Erdgeschoss gab es einen großen Wohn-Ess-Raum, der in die kleine Küchenzeile überging. Außerdem lag das Bad unten und ein Flur mit ausreichend Ablage/Aufhängemöglichkeiten für die vielen warmen Klamotten, die man hier einfach haben muss. Die Küchenausstattung war nicht so üppig, aber ok. Ein Messer war richtig scharf :-).

Ein scharfes Messer und ein sehr sicherer Herd

Sehr sicher war die Küche außerdem: Bevor wir das erste Mal den Herd angekriegt haben, bin ich erstmal zur Rezeption gestiefelt, weil das Ding einfach nicht heiß wurde. Stellte sich heraus, dass man extra auf einen kleinen Sicherheitsknopf drücken musste, der eine Zeitschaltuhr in Gang setzte, die dann für maximal 30 Minuten (jederzeit verlängerbar) den Herd freigab… sowas kannte ich noch nicht. Und wasfür ein Glück, dass das so war und ich den Knopf nicht einfach ausprobiert habe, wie es mein Sohn eigentlich tun wollte… aber dazu später.

Schlaraffenland für Süßmäuler im einzigen Supermarkt

Die „Süßwarenfabrik“ im Dorf Abisko, ca. 2km von der Abisko Turiststation entfernt.

Nach unserer Ankunft gegen Mittag sind wir erstmal in den einzigen Supermarkt in Abisko gegangen, um einzukaufen. Der Spaziergang tat nach der vielen Sitzer- und Liegerei gut. Natürlich kamen die Teenager nicht mit… Bewegung, Vitamine und Schule sind ja für solche Kreaturen generell nicht so gut. Aber unsere Jüngste ist wacker mitgelaufen – was sich auch sehr gelohnt hat für sie.

Massenhaft Süßes scheint man im Norden zu brauchen.

Denn der Supermarkt in Abisko nennt sich „Godisfabriken“, also „Süßigkeiten-Fabrik“… nomen est omen. Ungefähr die Hälfte der Verkaufsfläche ist ein normaler Supermarkt mit allem, was man so braucht und auch zu ganz normalen schwedischen Preisen. Selbst das Gemüse ist nicht teurer als hier in Stockholm. Die andere Hälfte der „Godisfabriken“ wird von riesigen Mengen an Süßigkeiten und süßen Getränken eingenommen. Wahnsinn… die Vielfalt an unterschiedlichen Geschmacksrichtungen bei „Monster“-Dosen (ein Energy-Drink) erreicht hier in der Großstadt vermutlich kein einziger Supermarkt. Unsere Jüngste hat sich also gleich eingedeckt mit einer Maxi-Packung Kaubonbons und einer Tüte Chips. Natürlich zum Selbertragen (und – essen).

kp-Index, Wolken und der Zufall

Während unserer Zugreise hatten wir uns natürlich auch schon mit den lebenswichtigen digitalen Zutaten für einen Ausflug nach Norrland versorgt: Apps, um die Nordlichter-Wahrscheinlichkeit an unserem Standort zu berechnen. Ich habe mich ganz ehrlich nicht genauer mit den physikalischen Hintergründen beschäftigt. Aber ich weiß jetzt, dass ein kp-Index von 2 bis 3 da oben hinter dem Polarkreis ausreicht, um gute Chancen zu haben, die „aurora borealis“ zu sehen. WENN es keine Wolken gibt… und das war eher der Knackpunkt bei uns. Normalerweise gibt es in Abisko wenig Wolken, weil sie von den Bergen im Westen an der Grenze zu Norwegen quasi festgehalten werden. Aber während unseres Aufenthalts hat da irgendwas nicht so gut geklappt. Jedenfalls war es ziemlich bewölkt, als wir ankamen.

Aaaaber die Wettervorhersage behauptete, dass der Himmel am Abend klar sein würde. Und die zwei Nordlichter-Apps, die wir installiert hatten, berechneten einen kp-Index von mindestens 3 wenn nicht 4… also hofften wir. Und dann kam uns der Zufall zur Hilfe. Oder meine vorsichtige Natur: Denn die allerersten Nordlicher meines Lebens erspähte ich, als ich mich auf den Weg zur Rezeption machte, weil der Herd nicht funktionierte! Hätte ich den kleinen Knopf einfach gedrückt, wären wir wohl an diesem Abend nicht mehr rausgegangen, sondern hätten versucht, die Lichter vom Fenster aus zu sehen – und hätten sie im Zweifel übersehen. Denn sie wandern hoch über den Himmel, so dass man sich manchmal ein bisschen mitbewegen muss. Und Lampen im hellerleuchteten Zimmer helfen auch nicht, sie zu erkennen.

Nordlichter fotografieren ist was für Profi(kamera)s

Eines der ersten Nordlichter, die ich gesehen habe.

Aber dem gut gesicherten Herd sei Dank habe ich sie gesehen und natürlich direkt Bescheid gesagt. Das Essen wurde verschoben, und als ich zurückkam, standen schon alle gestiefelt und gespornt auf dem Weg vor unserer Unterkunft und guckten nach oben. Einige Minuten dauerte das Schauspiel. Nur mein Mann hatte mit dem Rausscheuchen der Kinder noch so viel zu tun, dass er es nicht so richtig mitgekriegt hat. Sein Handy nahm die Lichter auch nicht so gut auf wie meines. Unsere neue Kamera schaffte es gar nicht. Ich gebe zu, da hatte ich völlig vergessen, mich einzulesen. So sind unsere Erinnerungsfotos jetzt zwar viele, aber sie sind längst nicht so phänomenal wie sie von guten Fotografen mit Stativen und den richtigen Kameraeinstellungen wären… schon eine bessere Handykamera wäre hilfreich gewesen. Aber gut. Am wichtigsten sind die Erinnerungen selbst.

Wir liefen mit den Kindern noch einen sehr dunklen und zum Teil vereisten Weg zum See Torneträsk hinunter. Dort sollte man die Lichter besonders gut sehen. Allerdings waren wir noch keine Profis und wussten nicht, dass es oft wirklich nur ein paar Minuten sind, in denen sie sich zeigen. Kurz: Unten angekommen sahen wir gar nichts mehr. Dass der Mond sehr hell schien, hat nicht geholfen. Aber es war wohl einfach vorbei, als wir ankamen.

Wir sind also nach relativ kurzer Zeit zurückgelaufen und haben endlich unser traditionelles „erster Urlaubsabend-Essen“ (Spaghetti mit Tomatensauce) gekocht und uns sehr gefreut, dass der größte Wunsch an unsere Reise schon am ersten Abend in Erfüllung gegangen war. Auch wenn es nur kurz gewesen war.

Ein überraschender Tanz

Weil mein Mann so wenig davon mitbekommen hatte, beobachtete er weiter seine App und den Weg vor unserem Haus, um zu sehen, ob Leute draußen seien. Er wollte nach dem Essen unbedingt noch einmal raus, und als nette Ehefrau habe ich ihn natürlich begleitet. Wir liefen ein paar Schritte durch die kleine Ferienhaussiedlung am Jugendherbergsgebäude vorbei bis zur Ecke des Hauptgebäudes, in dem Hotel, Rezeption, Laden und Restaurant untergebracht sind.

Da ging es plötzlich wieder los: Eine Frau zeigte Richtung Hausfirst – und richtig, da war ein heller, grünlicher Streifen am Himmel darüber zu sehen. Durch die Handykamera noch besser als mit bloßem Auge. Ich war zunächst sicher, dass es dabei bleiben würde. Wer konnte schon erwarten, so viel Glück zu haben, gleich zwei Mal an einem Abend die Nordlichter zu sehen? Aber es ging weiter: An immer mehr Stellen am Himmel erschienen Streifen oder Flecken und verwandelten sich permanent in neue Formen. Ich habe endlich verstanden, warum man manchmal liest, dass Nordlichter „tanzen“: Manchmal entsteht ein Streifen, der sich in eine Spirale dreht, auf der kleine Lichtpunkte von einer Stelle zur nächsten zu hüpfen scheinen. Sie sehen ein bisschen aus wie kleine Kerzenflammen, die von einem Punkt zum nächsten springen.

Am schönsten sehen kann man die Nordlichter auf Fotos, die einen Bezugspunkt, wie z.B. den Baum hier, haben. Einfach am Himmel wirken sie durch ihre Bewegung auf Fotos sonst sehr unscharf und ihre Größe ist nicht erkennbar.

Doppeltes Glück an einem Abend

Wir haben natürlich wieder den Kindern Bescheid gesagt und alle sind noch einmal herausgekommen und haben sich das Schauspiel angesehen. So war der erste Abend gleich das Highlight der ganzen Reise. Zwei Mal Nordlicher sehen! Am dritten Tag hatten wir zwar sogar noch einen kp-Index von 4 und eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass der „Norrsken“ („Nordschein“) – wie ihn die Schweden nennen – auftaucht. Aber der Himmel war voller Schneewolken. Sicht = Null. War uns aber ganz egal :-).

Der Rest des Kurzurlaubs ist schnell erzählt: An Silvester sind wir für zu viel Geld essen gegangen (nicht weil wir so ein exklusives Restaurant ausgesucht hätten, nein… einfach in dem Restaurant der Turiststation; es war nur wegen Silvester besonders teuer…). Wir hatten einen komplett unerfahrenen, aber sehr sympathischen Kellern (der Verkäufer, der normalerweise im Lädchen dort arbeitet). Unser Hauptgericht war – wie könnte es anders sein? – Köttbullar. Diesmal vom Elch. Im Zug waren sie vom Rentier gewesen. Ein bisschen einfallslos ist das schon, finde ich. Kann es in Schweden nicht auch mal was anderes als Köttbullar mit Kartoffelbrei geben? Aber sie waren lecker (zumindest die an Silvester).

Ein Natur-Museum mit Bibliothek

Tagsüber haben wir das „naturum“ angeschaut. Das ist ein kleines Museum direkt auf der „Abisko Turiststation“, das zum Naturschutzgebiet um Abisko herum gehört. Es ist wie alle schwedischen Museen sehr gut für Kinder geeignet und angenehm übersichtlich in der Größe. Wer im Sommer kommt und sich für Flora und Fauna interessiert, findet hier sogar eine kleine Bibliothek mit vielen Büchern über die einheimische Tier- und Pflanzenwelt. Gewundert habe ich mich ein bisschen, dass sie dort allerdings keinerlei Kinderbücher über die samische Kultur anboten (hier gibt es aber ein paar Tips zu Jugendbüchern mit samischen HeldInnen – alle Bücher sind auf Schwedisch). Denn das Land hier – Sapmí auf samisch – ist ja das „Kernland“ dieser nordeuropäischen Ureinwohner (hier ein interessanter Artikel über sie). Jokkmokk, ein paar Kilometer weiter südlich, ist das kulturelle Zentrum der schwedischen Samen.

Spart Euch die Schneemobil-Tour

Nicht sehr spektakulär – dafür teuer.

An unserem dritten Tag hatten wir eine Schneemobil-Tour gebucht. Seit der Covid-Pandemie gibt es keine Anbieter von Schlittenhund-Touren mehr in Abisko direkt, nur in Kiruna. Aber das war uns zu weit und zu teuer. Auch wenn ich das lieber gemacht hätte. In der Rückschau würde ich nun auch sagen: Macht keine Schneemobiltour, das lohnt sich nicht. Jedenfalls nicht, wenn da eine Horde „Selbstfahrer“ dabei ist, zu der ihr nicht gehört. Es geht u.U. sehr langsam vorwärts (bei uns hat es z.T. stark geschneit), man kommt nicht weit und sieht möglicherweise nicht viel: Wenn man die Tour um 14 Uhr bucht, braucht es locker bis 14:45 Uhr bis man tatsächlich losfährt – da wird es gerade schon wieder dunkel. Und vorher ist es auch nicht das, was man bei uns als „taghell“ bezeichnen würde. Ich hatte wirklich gedacht, wir würden eine relativ weite Strecke in die Berge hinein fahren, aber das war weit gefehlt. Kurz: Hätten wir uns sparen können. Ich weiß nicht, ob die Hundeschlittentouren besser sind, aber meine Hoffnung wäre es…

Schöne kleine Wege ab der Turiststation

Sehr schön sind sind jedoch die kleinen (und sicher auch die größeren) Wanderungen um die Turiststation herum. Die lohnen sich an Tagen mit guter Sicht sehr. Wir haben zwei der kürzeren Wege am Tag unserer Abreise ausprobiert. Da unser Zug erst am späten Nachmittag fuhr, hatten wir noch viel Zeit, um nach dem Auschecken in der Lobby rumzuhängen, Postkarten zu schreiben und eben spazieren zu gehen. Von der Turiststation gehen verschiedene Wege los in Richtung Berge und zum See Torneträsk. Sie sind gut ausgeschildert und man muss nicht gleich den „Kungsleden“, den längsten und wohl bekanntesten Wanderwegs Schwedens gehen, der hier beginnt. Man kann auch auf kurzen Strecken viel sehen. Ein Weg führt zu einem Beobachtungsposten für Vogel-Fans:

Zu diesem Vogelbeobachtungs-Häuschen darf man in der Brutzeit im Frühling nicht gehen. Aber jetzt gab es eine tolle Aussicht über den See Torneträsk zu den Bergen auf der anderen Seite.
Eine traditionelle samische Vorratshütte.

Bereits am Tag zuvor hatten wir uns ein kleines samisches „Camp“ angesehen, in dem man verschiedene samische Hütten für die Aufbewahrung von Ausrüstung und Essensvorräten kennenlernen kann.

Überraschend interessantes „Verteidigungsmuseum“

Ganz zufällig bin ich am letzten Tag auch noch über das kleine „Grenzverteidigungsmuseum“ gestolpert: Eine kleine Hütte, die zwar geschlossen war, aber an der außen mehrere Tafeln mit interessanten Informationen über die wichtige strategische Lage der Gegend angebracht sind. Seitdem weiß ich z.B., dass die Straße, die durch Abisko an der Bahntrasse entlang Richtung Norwegen führt, erst Ende der 1970er Jahre gebaut wurde. Gegen den Widerstand von Samen, Naturschützern und dem Militär. Die Regierung setzte sie zwar irgendwann durch, musste aber dafür sorgen, dass unter der Straße Hohlräume eingebaut wurden, um sie notfalls sprengen zu können… falls die gefährlichen Norweger einfallen (oder eher die Russen). Außerdem musste die Straße an der Bahnlinie entlang verlaufen, damit die Verteidigung dieses Landesteils nicht noch komplizierter wurde.

Erst Ende der 1970er wurde die Straße an Abisko vorbei bis Norwegen gebaut – das Militär war dagegen. Denn die Gegend ist strategisch wichtig.

Samische Kunst

Links das traditionelle Leben der Samen mit ihren Tieren. Oben die Mitternachtssonne und die Nordlichter.

Auch an einem samischen Kunstwerk bin ich noch vorbeikommen auf meinem Spaziergang am letzten Tag: In einer Unterführung hat die samische Künstlerin Annika Waara Rentiere und den Fluss, der hier in den See fliesst, verewigt, ebenso wie die Nordlichter und die Mitternachtssonne. Dazu gibt es samische Gesänge zu hören, die Simon Marainen extra dafür komponiert hat.

Ein echtes Abenteuer zum Schluss

Unser Zug zurück kam dann wieder ganz pünktlich – allerdings vergass man, uns eine durchaus wichtige Information schon beim Einsteigen mitzuteilen. Deshalb waren wir sehr überrascht, als wir am nächsten Tag um 8 Uhr morgens mit der Durchsage geweckt wurden, wir seien leider „sehr verpätet“… Es stellte sich heraus, dass wir ca. vier Stunden hinter unserem Zeitplan lagen, weil auf der Küstenstrecke ein Güterzug entgleist und wir über das Landesinnere umgeleitet worden waren. Das Unglück war allerdings schon am Tag vorher mittags passiert (also bevor wir eingestiegen waren)… und die Leute, die an Bahnhöfen an der Küste aussteigen wollten, hätten vermutlich gern Bescheid gewusst. Sie bekamen dann Taxis bestellt und wurden so zu ihren Zielorten befördert.

Wir waren allerdings sehr froh, dass unser Zug selbst nicht entgleist ist, wir es trotz kaputtem Rollo geschafft haben, zu schlafen, und dass die Heizung funktionierte, auch wenn wir raten mussten, wie sie einzustellen war, weil der zugehörige Knopf falsch montiert war… Schließlich kamen wir statt um 9:30 Uhr gegen 14:30 Uhr in Stockholm an. Zum Schluss also noch ein echtes Abenteuer!


—- Noch ein kleiner praktischer Hinweis zum Schluss: „Pannlampor“, also Taschenlampen für den Kopf, sollten zur Grundausrüstung für eine Reise nach Norrland gehören! Und über unsere Sorel-Schuhe und doppelte dicke Socken darin waren wir auch sehr glücklich… —-

Familien-update

Zug Stockholm – Hamburg, 26. November 2022: Ich bin auf dem Weg nach Deutschland. Schon wieder. Vor sieben Wochen habe ich unsere Zweitälteste nach Hamburg gebracht. Dort hat sie eine vierwöchige Behandlung gegen ihre Long-Covid-Symptome bekommen (hyperbare Sauerstofftherapie wirkt! wer mehr wissen möchte: hier eine Studie auf Englisch , hier die Zusammenfassung auf deutsch). Jetzt fahre ich, um meine Mutter zu besuchen, der es nicht gut geht. Zeit für ein Update darüber, wie es uns allen geht.

Auf dem Weg von Stockholm nach Hamburg hatte ich zwei Stunden Aufenthalt in Kopenhagen. Genug für einen kleinen Stadtrundgang und Mittagessen. Hier: Der Tivoli ist weihnachtlich geschmückt.

Der Countdown für Schweden läuft

Zuhause in Stockholm (ja, so heißt das jetzt) sind unsere Kinder-Geburtstage dieser Jahreszeit alle vorbei. Zu dem meines Mannes will ich rechtzeitig wieder zurück sein. Noch drei Wochen bis Weihnachten – und dann ist auch schon das vorletzte Schulhalbjahr an der Tyskaskolan vorbei. Dann sind es nur noch sieben Monate in Schweden… Ich habe ziemlich gemischte Gefühle dabei.

Update: Sohn – er hat wieder Kopf- und Bauchweh

Wie geht es uns zurzeit? Eigentlich bin ich im Großen und Ganzen ziemlich zufrieden. Einzig unser Sohn macht uns nach wie vor Sorgen. Nachdem er im Sommer kaum Kopf- und Bauchschmerzen hatte, und auch die ersten Wochen im neuen Schuljahr ziemlich entspannt war, sind sie jetzt sei einigen Wochen wieder zurück. Selbst in den Herbstferien gingen sie nicht weg und bleiben auch die ganze Zeit relativ stark und gleichbleibend schlimm.

Wir haben kurz versucht, ihn histamin- und fructosefrei zu ernähren. Dass er Fructose nicht gut verträgt ist gesichert seit einem Test mit fünf oder sechs Jahren… Aber es gab gar keinen Effekt, obwohl er sich wirklich gut dran gehalten hat. Deshalb haben wir es wieder gelassen. Ein erneuter Arztbesuch vor zwei Wochen im schwedischen Vårdcentral (Ärtehaus – wie der Hausarzt bei uns) zog einen Blut-und Urintest nach sich. Die Ergebnisse sind mir bis heute nicht mitgeteilt worden. Eigentlich sollte – bei Ergebnislosigkeit – auch eine Überweisung zum Kinderarzt ausgestellt werden. Aber bis heute habe ich auch davon nichts mehr gehört. Es ist wie immer, wenn man hier zum Arzt geht… ziemlich frustrierend. Weil man schon halbtot sein muss, damit die mal in die Gänge kommen, hat man den Eindruck. Und das, obwohl dieses Kind jetzt wirklich seit Wochen nur noch mit Schmerztabletten in die Schule geht…

Endlich ein Smartphone!

Ein wichtiger Geburtstag in unserer Familie: Mit 12 bekommt man ein Smartphone.

Seiner guten Laune tut das zum Glück (und erstaunlicherweise) nicht unbedingt Abbruch. Er ist immer wieder – zumindest zuhause – sehr fröhlich, hat sich wahnsinnig auf seinen 12. Geburtstag gefreut Ende November. Auch wenn er ihn nicht mit Gleichaltrigen feiern wollte, weil er – sehr klar – sieht, dass er keine richtigen Freunde in seiner Klasse hat.

Aber immerhin hat er nun etwas, auf das er nach eigener Aussage zwischen sieben und zwölf Jahren gewartet hat: ein Smartphone! Damit hat er gleich am Geburtstag lange mit einem alten Freund aus Kindergartentagen telefoniert . Und einen Tag später mit einem aus seiner alten Grundschulklasse… Warum das mit dem Smartphone wesentich längere Gespräche waren als jemals mit seinem normalen Handy – keine Ahnung.

Da ist das gute Stück…

Kontakte wieder aufleben lassen – eine gute Vorbereitung

Jedenfalls haben ihn diese Kontakte glücklich gemacht. Auch weil sie gute Vorboten für den Rückzug nach Berlin sein könnten. Der Junge aus der Grundschulklasse geht auf die weiterführende Schule, auf die auch unser Sohn gehen möchte. Und der andere wohnt wenigstens in der Nähe von Berlin. Wenn wir zurück sind, sind die beiden so groß, dass sie auch mal allein in die S-Bahn steigen und sich besuchen können. Er bereitet also seine Rückkehr ganz gut vor…

Update: Wetter – Schneechaos am Geburtstag

Sein Geburtstagsessen im Restaurant mussten wir allerdings verschieben. Denn ausgerechnet an dem Tag kam der große Wintereinbruch, und wir hatten noch unsere Sommerreifen drauf. Es waren Massen von Schnee!

Kein Durchkommen auf unserer Dachterrasse – und die Hoffnung, dass das Flachdach drumherum gut konstruiert ist…

Wir hatten ja schon viel Schnee im ersten Jahr hier, aber DAS jetzt war – auch nach Aussagen von schwedischen Nachbarn – wirklich äußerst ungewöhnlich viel… Es schneite von Sonntag mittag bis Montag abend durch – unsere Dachterrasse lag unter ca. 60cm Schnee, ebenso unser Flachdach, was uns tatsächlich erstmals etwas Sorgen gemacht hat. Ab Dienstag taute es dann allerdings kontinuierlich bei 2 Grad, so dass jetzt – eine Woche später – fast alles wieder weg ist. Unseren Restaurant-Besuch werden wir nachholen, wenn ich wieder zurück von meiner Reise bin.

Update: Zweitälteste – es geht ihr besser!

Richtig glücklich macht uns, dass die Behandlung unserer Zweitältesten wegen Long-Covid eine deutliche Verbesserung für sie gebracht hat. Ihre Kopfschmerzen sind besser, ihre Müdigkeit ebenso, und sie kann sich auch wieder länger konzentrieren. Es ist immer noch nicht wieder alles wie vorher, weshalb wir auch in der Schule um einen Nachteilsausgleich kämpfen. Aber es ist eine sehr positive Entwicklung. Doch so schön das ist, es gab auch schon Tränen. Sie hat gesagt, dass ihr erst jetzt bewusst geworden sei, was sie verloren habe. Mathe z.B. fiel ihr früher immer extrem leicht. Jetzt hat sie im letzten Jahr viel verpasst (ca. 40 bis 50% des Schuljahres) und hatte in der ersten Klausur eine sehr schlechte Note. Das kratzt an ihrem Selbstwertgefühl, weil sie immer stolz darauf gewesen ist, dass sie gut in den Naturwissenschaften war.

Unsere Zweitälteste in der Druckkammer beim „Tauchgang“: Der Druck wird so stark erhöht, als befände man sich etwa 10m unter der Meeresoberfläche. Während der hyperbaren Sauerstofftherapie atmen die PatientInnen durch eine Maske 100%igen Sauerstoff. Diese Therapie hilft auch bei Kohlenmonoxidvergiftungen, bei der Wundheilung, z.T. wohl auch bei Migräne. Bezahlt wird sie von der gesetzlichen Kasse aber für fast keine Indikation.

Die Kämpferin

Aber sie gibt nicht auf: Ihre Französisch-Lehrerin aus der 8./9. Klasse hat einmal zu mir gesag, sie sei „eine Kämpferin“. Das hat sich bewahrheitet. Sie ist zwar immer noch nicht die Allerdisziplinierteste (wer ist das schon mit 15?!). Aber sie will das Schuljahr unbedingt schaffen und tut etwas dafür. Sie will auch in Mathe wieder den Anschluss bekommen. Dabei ist sie sich bewusst, dass sie dafür mehr wird arbeiten müssen als sie das bisher in ihrer Schullaufbahn wohl jemals musste.

Das ist frustrierend – einerseits. Aber immerhin ist der ständige „Nebel“ im Kopf viel weniger geworden. Darauf hatten wir schon fast nicht mehr zu hoffen gewagt. Denn seit März hatten wir keine Verbesserung ihres Zustandes mehr gesehen. Umso mehr Respekt gebührt dieser Teenagerin aber für ihren Langmut und ihre Geduld mit sich selbst und uns. Wir waren oft zu ungeduldig mit ihr und haben wahrscheinlich Dinge von ihr verlangt, die sie schlicht nicht gut tun konnte. Weil ihr Kurzzeitgedächtnis beinträchtigt war, aber auch ihre Exekutivfunktionen (Fähigkeiten, zu planen/zu organisieren/sich selbst zu motiveren…).

Hyperbare Sauerstofftherapie – hoffentlich bald auf Rezept

Im Zentrum für Hyperbarmedizin in Hamburg können bis zu zwölf PatientInnen gleichzeitig behandelt werden. In ganz Deutschland gibt es aber nur zwölf solcher Zentren. Bisher wurden sie nicht so oft gebraucht… das muss sich ändern, damit Long-Covid-PatientInnen geholfen werden kann.

Wir sind sehr froh darüber, dass die hyperbare Sauerstofftherapie geholfen hat. Und wir hoffen sehr für alle Betroffenen, dass diese Therapieform möglichst bald als Standard anerkannt und bezahlt werden wird. Denn zurzeit muss man sie als gesetzlich Versicherter noch komplett privat tragen. Wenn – wie in unserer Familie – mehr als ein Kind (oder Erwachsener) aufgrund einer offenbar vorhandenen Disposition von Long Covid betroffen ist, ist das schwierig. Bei unserer Ältesten hat sich ihr Zustand zum Glück von selbst nach sechs Monaten wieder gebessert. Aber eigentlich bräuchte die Zweitälteste noch mehr Sitzungen dieser Therapie. Doch das ist sowohl organisatorisch (Therapie ist in Hamburg, sie muss bei Freunden wohnen, verpasst Schule) als auch finanziell schwierig. Wir hoffen im Moment noch darauf, dass unsere Krankenkasse im Rahmen einer Einzelfallentscheidung doch noch Kosten übernimmt.

Update: die Älteste – Durchhalten wird leichter

Meanwhile… die Älteste: Sie kämpft immer noch mit Prüfungsängsten. Nächste Woche kommt mal wieder eine von den verhassten Matheklausuren. Aber sie hat im letzten Jahr auch eine wirklich gute Entwicklung gemacht. Sie hat sich ein paar Techniken angeeignet, um damit umzugehen und ist insgesamt einfach erwachsener geworden. Die größte Motivation, durchzuhalten, ist jetzt, dass es nur noch wenige Monate sind. Dann kann sie zum ersten Mal selbst entscheiden, wie es weitergehen soll. Eine gewisse Form von Freiheit, die da auf sie wartet. (Da sie noch nicht volljährig sein wird, gibt es noch ein paar Einschränkungen). Dass sie diesen Zustand früher als die meisten ihrer Freundinnen und Freunde erreichen wird, ist auch nicht ganz unwichtig für sie.

In andere Rollen schlüpft die Älteste gern. Hier mit neuer Langhaar-Perücke.

Noten sind nicht so wichtig wie ihre Erfahrungen fürs Leben

Wir sind jedenfalls sehr stolz auf den Weg, den sie in den letzten Monaten zurückgelegt hat. Dass ihre Abi-Note nicht ihren Wünschen und Ansprüchen an sich selbst entsprechen wird, finden wir nicht schlimm. Sie braucht sie für das, was sie danach machen möchte (Kunst), wahrscheinlich kaum. Außerdem ist das, was sie in diesem Jahr über sich und andere gelernt hat viel wichtiger. Was sie schaffen, wie sie Schwierigkeiten überwinden, auf wen sie sich verlassen kann, was ihr hilft, womit es ihr gut geht, was oder wen sie nicht braucht… Das alles sind wichtige Erfahrungen.

Jetzt kommt natürlich noch der schwierigste Teil – die Abi-Klausuren. Aber sie hatte vor kurzem schon die ersten „Langzeitklausuren“ in den Fächern, die sie ins Abi nimmt. Und siehe da: Sie hat ganz überrascht festgestellt, dass sie nicht schwieriger, sondern nur länger sind. Sie hat dabei auch gemerkt, dass das u.U. sogar angenehmer sein kann, weil man sich besser organisieren kann und nicht gezwungen ist, alles so schnell wie irgend möglich zu Papier zu bringen. Trotzdem stresst es sie natürlich alles. Das wird wohl auch nach Weihnachten nochmal schlimm(er) werden, wenn es auf die Zielgerade geht. Aber wir sind sicher, dass sie das mit den Erfahrungen aus dem letzten Jahr bewältigen kann.

Update: die Jüngste – sie ist happy

Unsere Jüngste gibt es ja auch noch… Ihr geht es wie immer wohl am besten von allen. Sie ist gesund, sie hat Freundinnen, sie schreibt gute Noten bei den vielen, vielen Tests, die es hier in der dritten Klasse schon gibt… Sie möchte neuerdings sogar möglichst erst „spät“ aus dem Hort abgeholt werden. Sie scheint sich dort also wohlzufühlen.

ARD-Kinderradionacht war das Highlight ihrer Woche

Ihr Highlight diese Woche war die „ARD-Kinderradionacht“ gestern abend. Seit wir in Schweden wohnen, darf sie zu diesem Anlass immer ein Kind zum Übernachten einladen. Wir machen uns dann einen schönen Abend mit Basteln, Leuchtstäbchen, Snacks, Schminken… je nachdem. Gestern war das Thema „Verhext“, also Märchen. Das nahm sie zum Anlass, um ihr Zimmer märchenhaft zu dekorieren und sich selbst als Rotkäppchen zu verkleiden. Ganz süß!

Ein märchenhaftes Zimmer für die ARD-Kinderradionacht…

Mit ihrer Freundin hat sie nach dem Pizzaessen (was wir freitags immer haben, mein Mann hat seit dem ersten Lockdown noch in Deutschland seine Pizzabäckerfertigkeiten perfektioniert) Softeis selbst gemacht (kleine Tüte mit Sahne/Vanillezucker in großer Tüte mit Eiswürfeln und Salz geschüttelt) und mit Salzteig gebastelt. Außerdem haben sie natürlich ganz viel Radio gehört. Leicht frustriert waren die beiden nur, weil das Anrufen in der Sendung nicht geklappt hat. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass man da einfach nicht durchkommen kann – schließlich hörte man doch, dass die anderen durchkamen?!

Märchenhafte Bücher und Verkleidungen…

Update: alte, kranke Eltern

Tja, und mein Mann hat jetzt nächste Woche ziemlich viel Stress, weil ich nicht da sein werde und er arbeiten und alles andere erledigen muss. Hund, Kinder bringen und abholen, kochen, waschen, einkaufen, Hausaufgaben und Lernen für Tests betreuen, an diverse Termine denken und Kinder erinnern…

Aber meiner Mutter in Deutschland geht es gar nicht gut. Gesundheitlich und mental. Deshalb muss ich hin. Auch das ist eine Situation, in die viele Leute kommen, die im Ausland leben. Es ist immer eine Gratwanderung: Fährt man hin, fährt man nicht? Wie schlimm ist es? Hilft es überhaupt, wenn man nur ein paar Tage da sein kann? Ist die Einsamkeit danach nicht umso schlimmer? Ich denke, es ist sicher besser, wenigstens ein bisschen da zu sein als gar nicht. Meiner Familie und vor allem meinem Mann bin ich sehr dankbar, dass sie das alle mittragen und ermöglichen. Für meine Mama hoffe ich, dass es ihr gut tut und wieder etwas mehr Lebensmut und Zuversicht geben wird. Mal sehen.

Update: meine Reise – noch zwei Stunden

So, jetzt ist es draußen stockdunkel (17:30 Uhr) – eigentlich schon seit eineinhalb Stunden. Ich werde noch etwa zweieinhalb Stunden unterwegs sein. Die dänischen Züge sind sehr bequem – ganz großzügige Sitze, und vor allem: pünktlich! Es ist echt angenehm, diese Strecke zu fahren, auch der Snälltåget von Stockholm bis Kopenhagen ist immer absolut pünktlich (wenn auch nicht ganz so üppig was Platz angeht). Dann übernachte ich bei Freunden (auch denen bin ich sehr dankbar, dass sie mich schon wieder aufnehmen – denn bei ihnen hat neulich schon unsere Zweitälteste vier Wochen wohnen dürfen während ihrer Behandlung) und fahre morgen den Rest der Strecke.

Meine dicke Daunenjacke hat sich jetzt schon als viel zu warm erwiesen…

Radtour durch Stockholm

30.10.2022 – Herrliches Herbstwetter, Lust auf Neues und Bewegungsdrang = Radtour! Es gab noch nicht so viele Gelegenheiten, eine Radtour durch Stockholm aus meinem schwedischen Städteführer zu machen. Hauptsächlich weil unsere Jüngste noch nicht so weit fahren kann. Aber gestern sind wir Eltern allein und mit E-bikes losgezogen. Die Tour führte uns 34km von Lidingö über Danderyd nach Edsberg Slott. Wir fuhren zunächst am sonnigen Ostufer des Edsviken – einem Arm der Ostsee – entlang. Zurück ging es am westlichen Ufer. Dort kamen wir am königlichen Ulriksdal Slott mit seiner Gärtnerei und dem schönen „Trädgårdscafé“ vorbei und kehrten natürlich ein.

Anfangs führt die Route kurz an einer Autobahn entlang – da sind die Schweden ja sehr pragmatisch.

Die Strecke von Lidingö bis Danderyd führt zunächst durch Norra Djurgården, dann kurz an der Autobahn entlang, weil man irgendwie nach Danderyd hinüberkommen muss.

Mehr Ausblicke vom Rad

Die Eisenbahnbrücke verläuft etwas tiefer als die für Autos und Radfahrer.

Da Brücken teuer zu bauen sind, hängt der Fahrradweg dann eben an der Autobahn mit dran, nur die Eisenbahn hat eine eigene Brücke bekommen. Wenn man mit dem Rad unterwegs ist, kann man immerhin den Blick auf den Meeresarm genießen, den man aus dem Auto nie zu sehen bekommt.

Nette Häuschen hier.

Sobald man in Danderyd ist, führt der Weg durch Wohnsiedlungen. Die Lage hier gilt als eine der besten (und teuersten) der Stadt. Nicht wenige Häuser besitzen einen eigenen Strand und Bootsanleger.

Sobald man unten am Wasser des Edsvik angekommen ist, sollte man bei Sonne eine kleine Kaffeepause einlegen. Den Kaffee muss man sich allerdings mitbringen oder doch noch eine Weile weiterfahren bis Edsberg Slott.

Am Weg entlang finden sich regelmäßig Bänke an den schönsten Stellen.

Zum Teil ist der Weg etwas eng für Radfahrer plus Spaziergänger. Aber da hier nicht so viele Leute unterwegs sind wie in „downtown Stockholm“, gibt es doch kein Gedränge.

Schlösser gibt es in Schweden überproportional viele

Folgt man dem Weg am Ufer des Edsvik weiter, kommt man an seinem Ende zu einem größeren Gehöft mit Herrenhaus (das sich etwas großspurig „Slott Edsberg“, also Schloss Edsberg, nennt). In den alten Stall- und Wirtschaftsgebäuden (im Bild unten die Gebäudeansammlung rechts) sind ein Café mit schönster Aussicht und ein Kulturzentrum zu finden. Sogar eine kleine Ausstellung über die Geschichte des Ortes findet sich auf dem großen Hof zwischen den langgestreckten Häusern.

Café auf der Anhöhe über dem Edsvik.
Schloss Edsberg (links) mit dem zugehörigen Gehöft, wo das Café liegt (rechts).
Blick vom Hof zwischen den alten Wirtschaftsgebäuden auf den Edsvik. Rechts in dem Haus ist ein Café.

Auf der westlichen Seite des Edsvik begann unser Rückweg. Dort war es zu dieser Jahreszeit nicht mehr sehr sonnig, so dass es auch rasch kühler wurde. Doch die Aussicht auf ein spätes Mittagessen in Ulriksdal hielt uns bei der Stange.

Ulriksdal Slott kann sich schon eher als Schloss bezeichnen…
Hier fand im Park – überraschend für uns – ein „höst marknad“ (Herbstmarkt) statt. Es war viel los!

Doch wir wollten ins „Gartencafé“ (trädgårdcafe) in den Gewächshäusern. Die sind ein paar hundert Meter vom Schloss entfernt. Wir waren früher schon einmal hier, um Pflanzen zu kaufen. Damals waren wir die schwedischen Preise noch nicht gewöhnt… Ehrlich gesagt war ich von diesen so entsetzt, dass ich weitere Ambitionen im Hinblick auf den Garten hier in Schweden völlig ad acta gelegt habe. Zu teuer. Außerdem verbietet unser Mietvertrag uns, gestaltend in den Garten einzugreifen. Also haben wir es hier schlicht beim Rasenmähen belassen.

Alles hübsch, aber sehr teuer…

Doch das Café wollten wir dieses Mal unbedingt ausprobieren. Zwar mussten wir recht lange in der Schlange warten, aber es hat sich gelohnt. Die schwedischen Kuchen sind unserer Erfahrung nach für deutsche Gaumen überwiegend süß – und unterscheiden sich ansonsten vor allem in der Deko.

Aber das Mittagessen (ein vegetarisches Curry mit Erdnüssen) war gut und man sitzt sehr hübsch in den Gewächshäusern.

Im Trädgårdscafe von Ulriksdal.

Gestärkt machten wir uns auf den Rest des Rückwegs – allerdings verfolgten wir hier nicht die Tour aus dem oben erwähnten Buch. Denn darin war die ganze Radtour durch Stockholm nicht als Rundweg angelegt. Auf google maps wurde uns aber ein Weg am Wasser entlang angezeigt, also fuhren wir drauflos. Das war keine gute Idee!

Google maps trügt manchmal

Zwischen Ulriksdal Slott und der Brücke, die uns wieder von Danderyd herunter führen sollte, wurde der Weg für unsere Räder nämlich streckenweise fast nicht passierbar. Wir mussten schieben. Das ist mit einem sehr schweren Transport-E-bike wie meinem nicht unbedingt leicht. Vor allem bergauf. Zum Glück waren es nur einige hundert Meter, die so beschwerlich waren.

Große Steine und Baumwurzeln und viel Auf und Ab machten diesen Weg abenteuerlicher als erhofft.

Insgesamt waren wir auf unserer Radtour durch Stockholm in gemütlichem Tempo und mit vielen Foto-Pausen, reichlich Zeit für Fika (Kaffeetrinken), Mittagessen und Rumgucken ungefähr fünf Stunden unterwegs. Am späten Nachmittag kamen wir wieder zuhause auf Lidingö an.

Auf der neuen „Lilla Lidingöbron“, die vor wenigen Wochen eröffnet wurde: die neue Rad/Fussgängerbrücke zwischen Lidingö und Stockholm.

Und falls irgendwelche Zweifel bestehen: Meine Rad-App weiß ganz genau, wieviel wir uns bewegt haben, und welche Strecke wir gefahren sind. Jetzt ist nur noch die Frage, wann wir die nächste Radtour durch Stockholm machen. Wenn das Wetter weiter so mild bleibt, hoffentlich bald!

Die App, die mein Rad vor allem gegen Diebstahl schützen soll, verfolgt alle Routen, die ich fahre.

Teenager-Entertainment

30.09.2022 – Für Eltern ist es nicht immer einfach, Teenies noch zu gemeinsamen Ausflügen zu motivieren. Was bei uns immer geht: mit asiatischem Essen locken. Neulich waren wir zuerst beim „Ghost walk“ in der Altstadt von Stockholm (den wir nicht toll fanden) und anschließend bei „Nara de“ vietnamesisch essen (was wir wärmstens weiterempfehlen).

Stadtführung aus dem „Umzugskalender“

Der „Ghost walk“ war ein Gutschein, der noch aus dem „Umzugskalender“ stammte, den ich vor unserem Umzug nach Schweden für die Kinder gemacht hatte: eine Art Adventskalender um den Aufbruch und die Ankunft herum, der den Abschied leichter und das Ankommen schöner machen sollte. Da wir im Sommer 2020 mitten in der Pandemie umgezogen sind, konnten wir manches davon noch nicht machen. So auch diese „gruselige“ Stadtführung durch Gamla Stan, die Altstadt von Stockholm. Deshalb habe ich sie erst neulich für einen Samstag abend gebucht.

Die SMS machte keinen guten Eindruck

Etwas befremdlich war die SMS, die wir kurz vor dem Termin bekamen. Da habe ich erste Zweifel bekommen, ob es wohl gut werden würde. Zusammengefasst stand drin, dass man Pech habe, wenn man zu spät komme – niemand würde auf einen warten. Auch kein Angebot, dass man sich dann irgendwo melden könnte oder so, um den Anschluss noch zu bekommen. Das finde ich bei einem Preis von rund 70 Euro für drei Personen schon nicht sehr nett. Prompt wären wir fast zu spät gekommen – und das war absolut nicht unsere Schuld: Wir sind rechtzeitig losgefahren, wussten aber nicht, dass man ausgerechnet an diesem Abend nicht mit dem Auto auf die Insel fahren konnte, weil irgendein Lauf-Event stattfand. Also mussten wir relativ weit weg parken und hinlaufen. Wir haben es nur gerade so noch im letzten Moment geschafft… Ich hatte sogar extra – auf gut Glück – noch an diesen SMS-Absender geantwortet und Bescheid gesagt, was los war: keine Reaktion. Stunden später kam dann mal eine Antwort: sorry, sie seien alle unterwegs bei den Touren gewesen…

Der Stadtführer war schlecht zu verstehen

Tja, also ja, wir kamen gerade noch pünktlich, bevor der Stadtführer losstürmte (übrigens lag der Startpunkt an einem anderen Ort als das Büro des Veranstalters, das direkt neben der Deutschen Kirche liegt – auch darauf muss man sehr achten, das überhaupt mitzukriegen). Dieser Stadtführer legte dann ein Tempo vor, das die Gruppe von ungefähr 40 Personen in einen ziemlich langen Zug von Menschen verwandelte. Er wartete auch nicht immer darauf, dass alle da waren, bevor er anfing, etwas zu erzählen. Ob es daran oder an seinem starken schottischen Akzent lag (die Führung war auf Englisch)… Jedenfalls haben wir wirklich schlecht verstanden, wovon seine Geschichten handelten. Was natürlich sehr schade ist, denn darum geht es ja bei so einer Art von Stadtführung. Es hat mich ziemlich enttäuscht. Denn mein Englisch ist ziemlich gut, meine Teenies verstehen es auch prima. Aber dieser Typ…?

Schmale Gasse, kleiner Junge

Der Eisenjunge (Järnpojke) heißt eigentlich

Die Tour war das Übliche, was man in Gamla Stan sonst auch zu sehen bekommt: die schmalste Gasse Marten Trotzig Gränd, die an ihrer engsten Stelle nur ca. 90cm misst z.B., oder Järnpojke, eine nur 15cm „große“ Skulptur im Innenhof der finnischen Kirche, die Glück bringen soll, wenn man ihr über den Kopf streicht und ihr etwas spendet (im Winter stricken manche Leute ihr Schals und Mützen!).

Mein kläglicher Versuch, die schmalste Gasse der Altstadt fotografisch festzuhalten, während ich im Schweinsgalopp durchgeführt wurde…

Zeit zum Fotografieren gab es allerdings an den wenigsten Stellen, wo es sich gelohnt hätte. Sehr oft kam es mir vor, als würden wir auch an dem Lauf teilnehmen, der uns die Zufahrt zur Insel vermasselt hatte…

Und so richtig hat sich mir auch nicht erschlossen, was gruselig sein sollte. Eine abstruse Geschichte über einen Puffbesitzer, der im Keller seines Etablissements nach einem Schatz graben ließ, habe ich nur zu Bruchteilen verstanden. Irgendwie sind die Schatzgräber irgendwann verschwunden und nicht mehr auffindbar gewesen. Um die Pest ging es auch natürlich irgendwann – die war ja überall in Europa präsent im Mittelalter. Aber sonst? Wahrscheinlich ist es mir alles entgangen, weil ich den Schotten so schlecht verstanden habe. Einen roten Faden von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten habe ich definitiv nicht feststellen können.

Typisch Stockholmer Regenguss

Das Wasser schoss nur so aus den Regenrinnen heraus…

Kurz vor Schluss fing es dann noch jessesmäßig an zu gießen: Ein Wolkenbruch, wie ich das wirklich nur aus Stockholm kenne. Sehr plötzlich, sehr viel, sehr nass. Meine Töchter und ich hatten Glück und standen gerade in der Nähe eines Hauseingangs, wo wir uns unterstellen konnten. Dort beschlossen wir dann auch, uns nun vorzeitig vom „Ghost walk“ abzuseilen und zu einem vietnamesischen Restaurant zu laufen, das eine meiner Töchter für uns ausgesucht hatte.


K-Pop-Devotionalien an den Wänden sorgen für eine echt vietnamesische Athmosphäre (wie man sie sich als Europäer so vorstellt…).

Das „Nara de“ bietet neben vietnamesischen Köstlichkeiten und Sushi eine perfekte Kulisse für K-Pop (koreanische Popmusik)-Fans: Überall hängen Poster, Sammelkarten und weitere Devotionalien von K-Pop-Stars und -Sternchen wie BTS, Black Pink und Konsorten. Auf einem großen Flachbildschirm über der Küche laufen permanente Zusammenschnitte aus koreanischen Serien, die alle mit K-Pop unterlegt sind. Meine Töchter waren hellauf begeistert.

Frisches Essen, sehr lecker, kaum Wartezeit, freundliches Personal

Mein Essen – Pokébowl mit Lachs. Die Farben wirken im künstlichen Licht leider etwas braun. Die Qualität war hervorragend.

Das Essen war auch sehr gut: Wir hatten eine Bento-Box, die schön abwechslungsreich und frisch war und eine Poké-Bowl, dazu Kimchi, der eindeutig selbstgemacht war. Nur das Hähnchenspieße-Essen einer meiner Töchter war etwas zu klein geraten, so dass wir ein weiteres Hauptgericht nachbestellen mussten. Praktisch war, dass außer uns nur ein anderes Pärchen da war und wir deshalb nicht lange warten mussten – auch nicht bei der Nachbestellung. Vermutlich machen die Restaurants hier ihren Hauptumsatz tagsüber: Gamla Stan ist die touristischste aller Stockholmer Inseln mit dem Schloß, vielen Souvenirläden und unzähligen Kneipen, Cafés und Restaurants.

Das „Nara de“ gefiel uns aber nicht nur wegen des K-Pop-Einschlags und des wirklich guten Essens: Ganz offenbar hat man hier auch Humor:

Nur eine Art Drama ist hier erwünscht.
Das können wir bestätigen!

Deshalb werden wir ganz sicher wiederkommen. Nämlich heute. Ich muss los!

Alltag in der Krise

23. September 2022 – Die Zeit rennt gefühlt schon wieder im Sprinttempo. Seit etwas mehr als fünf Wochen sind die Sommerferien vorbei. Der Alltag hat uns wieder fest im Griff. Und Krisen gehören irgendwie mittlerweile dazu und mischen sich mit dem normalen Familienleben: Vor 12 Tagen war Wahl in Schweden – mit schlechtem Ausgang. Die Klausurpläne sind raus, bis Weihnachten schreiben die Kinder ständig irgendwelche Tests. Min svenska kurs har börjat igen. (Mein Schwedisch-Kurs hat wieder begonnen.) Morgen helfen wir beim „Lidingö-Loppet“, einem 30km-Lauf. Damit verdienen die Pfadfinder hier ihr Jahresbudget. Der erste unserer vielen Familiengeburtstage im Herbst ist bald. Aus Russland gibt es keine guten Neuigkeiten. Mitte Oktober fahre ich mit unserer Zweitältesten nach Hamburg. Vier Wochen lang soll sie dort eine Behandlung bekommen, die hoffentlich ihre Long-Covid-Beschwerden (Kopfweh, Müdigkeit, Konzentrationsprobleme) lindert.

Alles normal – zu normal?

Also alles ganz normal in diesen Zeiten. Immer wieder fallen mir zwischendurch Themen ein, über die ich gern schreiben würde. Aber ich komme im Alltag nicht dazu. Und wenn ich mich dann hinsetze, so wie jetzt, fallen mir diese Einzelthemen nicht mehr ein, und ich habe das Gefühl, ich muss einen „Rundumschlag“ machen, damit alle zu ihrem Recht kommen. Erst wenn ich dann die Fotos zur Bebilderung durchgehe, sehe ich: Ach, da haben wir ja noch den netten Ausflug gemacht! Da waren wir in jenem Restaurant! Denn das machen wir auch – zwischen und trotz der Krisen. Aber es geht ja bei diesem Blog auch bloß darum, nicht alles zu vergessen und wenigstens ab und zu mal ein wenig innezuhalten und aufzuschreiben, wie es uns so allen geht, was uns beschäftigt und umtreibt. Eine redaktionell stimmige Agenda hab ich aufgegeben.

Erste Krise: Klausurplan

Bei der Ältesten war die erste interne Krise der Klausurplan fürs erste Halbjahr. Für jemanden, der wirklich Prüfungsangst hat, ist das Stress pur. Das ganze Abijahr. Aber sie hat im letzten Jahr ein paar Strategien entwickelt, um damit umzugehen (Zwischenziele setzen, visualisieren und abhaken, was man schon geschafft hat uÄm). Ich hoffe sehr, dass ihr die jetzt auch helfen werden. Jedenfalls scheint sie sich erstmal – hoffentlich – wieder gefangen zu haben (sie sagt einem das ja auch nicht mehr so deutlich).

Studentenmützen

Außerdem gibt es auch schönere Schatten, die das Abi vorauswirft: Das Motto-Foto mit allen 12ern für den Jahresbericht und die Anprobe der „studentmössor“ („Studentenmützen“, die man hier zum Schulabschluss trägt; hier eine kleine Übersicht über alle Traditionen, die es rund um „studenten“/den Schulabschluss so gibt in Schweden). Bei diesen Gelegenheiten hatte die Älteste sichtlich Spaß.

Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass es sich um Glitzerstoff bei dieser „studentmössa“ handelt…

Trillerpfeife als Luxus-Zubehör

Diese Mützen und weiteren Traditionen sind übrigens eine Industrie hier. Und es gibt natürlich verschiedene Anbieter dieser Memorabilia. Ich hätte wirklich nicht für möglich gehalten, WIEviele Details man an einer einzigen Mütze personalisieren (und bezahlen!!!) kann: Stoff außen, Futter innen, Aufschrift außen, Inschrift innen, Inschrift unterm Schirm, Streifen am Schirm, Kokarden-Ring, Kokarden-Stein… you name it! Kostet dann zwischen 150 und 190 Euro im Paket mit einem Sektglas, einer Hutschachtel, eventuell noch einer Trillerpfeife (nur Teil des Gold-Pakets) und weiterem unverzichtbarem Zubehör… völlig irre aus meiner deutschen Mutter-Perspektive, aber wohl unumgänglich hier.

Die Qual der Wahl…

Auch auf die Jahrgangsfahrt in ihre Heimatstadt Berlin direkt vor den Herbstferien im Oktober freut sich unsere Älteste schon sehr. Danach werden die Highlights allerdings weniger – mal sehen, wie sie das durchstehen wird. Ich vermute, es kommt dann noch die ein oder andere Krise.

Männliche Krise

Auch der Mann hatte schon eine erste Sinnkrise im Herbst: Die schwedischen Wahlen sind alles andere als erfreulich ausgegangen. Zwar blieben die Sozialdemokraten die stärkste Partei (30.3 %). Aber das konservative Lager gewann um Haaresbreite – und zwar mit den „Schwedendemokraten“ als zweitstärkster Kraft (20.5%). Die Schwedendemokraten sind Rechtspopulisten, die ursprünglich aus der Neonazi-Bewegung hervorgegangen sind.

Wahlanalyse im „Guardian“

Eine interessante Analyse dieser Wahl ist im „Guardian“ zu lesen; verfasst wurde sie von Gina Gustavson, einer Dozentin an der Universität Uppsala. Die Aussagen, die mich am meisten erschreckt haben: „Fresh data from political scientists Sten Widmalm and Thomas Persson also suggests that 20% of Swedes would be willing to deny freedom of expression to the least-liked group in society. A third would be keen to withdraw the right to demonstrate and to organise politically. In their study, the least-liked groups of all were the Sweden Democrats, anti-vaxxers and opponents of abortion.“ – Ein ziemlich problematisches Verständnis von Demokratie, finde ich. Und nun darf eine dieser unbeliebtesten Gruppen also das Land mitregieren… Wie konnte das passieren?!

Die „Liberalen“ erhielten nur 4.6% der Stimmen und sind damit gerade so noch im Reichstag gelandet.

Die intoleranten Schweden

Vielleicht hängt das mit einer anderen Erkenntnis eines Ethnologen zusammen, die auch in dem Text erwähnt wird: „Back in the 1980s, the ethnologist Åke Daun argued that the average Swede was extremely conformist and consensus oriented. He found that in neighbouring Scandinavian countries, 4-6% of people disliked the company of those whose ideas and values they did not themselves share. But in Sweden the figure was 45%. Since then, the main representatives of such “dreaded” difference – immigrants and their descendants – have come to constitute a quarter of the population.“ Die Schweden sind also bei weitem nicht so tolerant wie wir das in Deutschland über sie zu wissen glauben. Ein höherer Frauenanteil im Parlament heißt hier eben nur, dass das die meisten gut finden. Wenn sich die gesellschaftliche Stimmung dreht und die meisten grüne Aliens besser finden, dann sind die Frauen ganz schnell draußen. So verstehe ich das…

Vielleicht doch mal was Neues wagen?

Jetzt haben sie jedenfalls erstmal eine Horde Schwedendemokraten dort, mit denen sie fertig werden müssen. Vielleicht sollten die Schweden sich doch mal dazu durchringen, es mit einer großen Koalition zu versuchen? Das ist zwar auch keine Traumvorstellung, aber besser als das, was es hier jetzt gibt… Ein Bündnis zwischen dem linken und dem rechten Lager sei jedoch schlechterdings undenkbar hier, wurde uns gesagt. Hm.

Einzelne alte Krisen-Verursacher

Jetzt bin ich ungewollt in eine Krisen-Geschichte gerutscht. Das passt aber ja ganz gut zur Weltlage. Leider. Es ist schon ziemlich unglaublich, wie schnell sich in den letzten zwei Jahren so viele Krisen entwickelt haben, dass sie nicht nur unsere Familie zu überwältigen drohen. Und es macht mich so unglaublich wütend, dass es immer wieder einzelne alte Männer (natürlich mit anderen alten Männern und leider auch ein paar Frauen im Hintergrund) sind, die solches Unheil anrichten! Da regen sich ein paar Idioten über die finnische Ministerpräsidentin auf, weil sie tanzen geht. Aber diese Despoten – ob dies oder jenseits des Atlantik – können die ganze Welt zugrunde richten?! Zum Kotzen.

Krisen contra Alltag: Wäsche und Pizzateig

So, jetzt ist meine Schreibzeit um, und ich kriege wahrscheinlich auch nicht mehr die Kurve mehr Optimismus und heitideiti. Die Wäsche wartet, der Pizzateig muss gemacht werden. Also zurück zum Alltag und den Niederungen des Haushalts…