Alltag in der Krise

Die Wahl in Schweden ist vorbei - mit miesem Ausgang.

23. September 2022 – Die Zeit rennt gefühlt schon wieder im Sprinttempo. Seit etwas mehr als fünf Wochen sind die Sommerferien vorbei. Der Alltag hat uns wieder fest im Griff. Und Krisen gehören irgendwie mittlerweile dazu und mischen sich mit dem normalen Familienleben: Vor 12 Tagen war Wahl in Schweden – mit schlechtem Ausgang. Die Klausurpläne sind raus, bis Weihnachten schreiben die Kinder ständig irgendwelche Tests. Min svenska kurs har börjat igen. (Mein Schwedisch-Kurs hat wieder begonnen.) Morgen helfen wir beim „Lidingö-Loppet“, einem 30km-Lauf. Damit verdienen die Pfadfinder hier ihr Jahresbudget. Der erste unserer vielen Familiengeburtstage im Herbst ist bald. Aus Russland gibt es keine guten Neuigkeiten. Mitte Oktober fahre ich mit unserer Zweitältesten nach Hamburg. Vier Wochen lang soll sie dort eine Behandlung bekommen, die hoffentlich ihre Long-Covid-Beschwerden (Kopfweh, Müdigkeit, Konzentrationsprobleme) lindert.

Alles normal – zu normal?

Also alles ganz normal in diesen Zeiten. Immer wieder fallen mir zwischendurch Themen ein, über die ich gern schreiben würde. Aber ich komme im Alltag nicht dazu. Und wenn ich mich dann hinsetze, so wie jetzt, fallen mir diese Einzelthemen nicht mehr ein, und ich habe das Gefühl, ich muss einen „Rundumschlag“ machen, damit alle zu ihrem Recht kommen. Erst wenn ich dann die Fotos zur Bebilderung durchgehe, sehe ich: Ach, da haben wir ja noch den netten Ausflug gemacht! Da waren wir in jenem Restaurant! Denn das machen wir auch – zwischen und trotz der Krisen. Aber es geht ja bei diesem Blog auch bloß darum, nicht alles zu vergessen und wenigstens ab und zu mal ein wenig innezuhalten und aufzuschreiben, wie es uns so allen geht, was uns beschäftigt und umtreibt. Eine redaktionell stimmige Agenda hab ich aufgegeben.

Erste Krise: Klausurplan

Bei der Ältesten war die erste interne Krise der Klausurplan fürs erste Halbjahr. Für jemanden, der wirklich Prüfungsangst hat, ist das Stress pur. Das ganze Abijahr. Aber sie hat im letzten Jahr ein paar Strategien entwickelt, um damit umzugehen (Zwischenziele setzen, visualisieren und abhaken, was man schon geschafft hat uÄm). Ich hoffe sehr, dass ihr die jetzt auch helfen werden. Jedenfalls scheint sie sich erstmal – hoffentlich – wieder gefangen zu haben (sie sagt einem das ja auch nicht mehr so deutlich).

Studentenmützen

Außerdem gibt es auch schönere Schatten, die das Abi vorauswirft: Das Motto-Foto mit allen 12ern für den Jahresbericht und die Anprobe der „studentmössor“ („Studentenmützen“, die man hier zum Schulabschluss trägt; hier eine kleine Übersicht über alle Traditionen, die es rund um „studenten“/den Schulabschluss so gibt in Schweden). Bei diesen Gelegenheiten hatte die Älteste sichtlich Spaß.

Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass es sich um Glitzerstoff bei dieser „studentmössa“ handelt…

Trillerpfeife als Luxus-Zubehör

Diese Mützen und weiteren Traditionen sind übrigens eine Industrie hier. Und es gibt natürlich verschiedene Anbieter dieser Memorabilia. Ich hätte wirklich nicht für möglich gehalten, WIEviele Details man an einer einzigen Mütze personalisieren (und bezahlen!!!) kann: Stoff außen, Futter innen, Aufschrift außen, Inschrift innen, Inschrift unterm Schirm, Streifen am Schirm, Kokarden-Ring, Kokarden-Stein… you name it! Kostet dann zwischen 150 und 190 Euro im Paket mit einem Sektglas, einer Hutschachtel, eventuell noch einer Trillerpfeife (nur Teil des Gold-Pakets) und weiterem unverzichtbarem Zubehör… völlig irre aus meiner deutschen Mutter-Perspektive, aber wohl unumgänglich hier.

Die Qual der Wahl…

Auch auf die Jahrgangsfahrt in ihre Heimatstadt Berlin direkt vor den Herbstferien im Oktober freut sich unsere Älteste schon sehr. Danach werden die Highlights allerdings weniger – mal sehen, wie sie das durchstehen wird. Ich vermute, es kommt dann noch die ein oder andere Krise.

Männliche Krise

Auch der Mann hatte schon eine erste Sinnkrise im Herbst: Die schwedischen Wahlen sind alles andere als erfreulich ausgegangen. Zwar blieben die Sozialdemokraten die stärkste Partei (30.3 %). Aber das konservative Lager gewann um Haaresbreite – und zwar mit den „Schwedendemokraten“ als zweitstärkster Kraft (20.5%). Die Schwedendemokraten sind Rechtspopulisten, die ursprünglich aus der Neonazi-Bewegung hervorgegangen sind.

Wahlanalyse im „Guardian“

Eine interessante Analyse dieser Wahl ist im „Guardian“ zu lesen; verfasst wurde sie von Gina Gustavson, einer Dozentin an der Universität Uppsala. Die Aussagen, die mich am meisten erschreckt haben: „Fresh data from political scientists Sten Widmalm and Thomas Persson also suggests that 20% of Swedes would be willing to deny freedom of expression to the least-liked group in society. A third would be keen to withdraw the right to demonstrate and to organise politically. In their study, the least-liked groups of all were the Sweden Democrats, anti-vaxxers and opponents of abortion.“ – Ein ziemlich problematisches Verständnis von Demokratie, finde ich. Und nun darf eine dieser unbeliebtesten Gruppen also das Land mitregieren… Wie konnte das passieren?!

Die „Liberalen“ erhielten nur 4.6% der Stimmen und sind damit gerade so noch im Reichstag gelandet.

Die intoleranten Schweden

Vielleicht hängt das mit einer anderen Erkenntnis eines Ethnologen zusammen, die auch in dem Text erwähnt wird: „Back in the 1980s, the ethnologist Åke Daun argued that the average Swede was extremely conformist and consensus oriented. He found that in neighbouring Scandinavian countries, 4-6% of people disliked the company of those whose ideas and values they did not themselves share. But in Sweden the figure was 45%. Since then, the main representatives of such “dreaded” difference – immigrants and their descendants – have come to constitute a quarter of the population.“ Die Schweden sind also bei weitem nicht so tolerant wie wir das in Deutschland über sie zu wissen glauben. Ein höherer Frauenanteil im Parlament heißt hier eben nur, dass das die meisten gut finden. Wenn sich die gesellschaftliche Stimmung dreht und die meisten grüne Aliens besser finden, dann sind die Frauen ganz schnell draußen. So verstehe ich das…

Vielleicht doch mal was Neues wagen?

Jetzt haben sie jedenfalls erstmal eine Horde Schwedendemokraten dort, mit denen sie fertig werden müssen. Vielleicht sollten die Schweden sich doch mal dazu durchringen, es mit einer großen Koalition zu versuchen? Das ist zwar auch keine Traumvorstellung, aber besser als das, was es hier jetzt gibt… Ein Bündnis zwischen dem linken und dem rechten Lager sei jedoch schlechterdings undenkbar hier, wurde uns gesagt. Hm.

Einzelne alte Krisen-Verursacher

Jetzt bin ich ungewollt in eine Krisen-Geschichte gerutscht. Das passt aber ja ganz gut zur Weltlage. Leider. Es ist schon ziemlich unglaublich, wie schnell sich in den letzten zwei Jahren so viele Krisen entwickelt haben, dass sie nicht nur unsere Familie zu überwältigen drohen. Und es macht mich so unglaublich wütend, dass es immer wieder einzelne alte Männer (natürlich mit anderen alten Männern und leider auch ein paar Frauen im Hintergrund) sind, die solches Unheil anrichten! Da regen sich ein paar Idioten über die finnische Ministerpräsidentin auf, weil sie tanzen geht. Aber diese Despoten – ob dies oder jenseits des Atlantik – können die ganze Welt zugrunde richten?! Zum Kotzen.

Krisen contra Alltag: Wäsche und Pizzateig

So, jetzt ist meine Schreibzeit um, und ich kriege wahrscheinlich auch nicht mehr die Kurve mehr Optimismus und heitideiti. Die Wäsche wartet, der Pizzateig muss gemacht werden. Also zurück zum Alltag und den Niederungen des Haushalts…

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